Kursbuchstrecke 286 - Eine Erinnerung an den Schienenverkehr zwischen Coesfeld und Bocholt

Das Geschehen auf der Schiene rund um die Bahnhöfe von Coesfeld und Rhede 1960 - 1985

Sonntag, 15. Juli 2007

Letzte Züge von Gescher nach Coesfeld


In der ersten Hälfte der 80er Jahre bescherte der Bau der Autobahn A 31 vom Ruhrgebiet nach Ostfriesland einigen Stichstrecken im westlichen Münsterland noch einmal ein kurze Wiederbelebung, bevor der Betrieb dann endgültig eingestellt wurde. Über die Streckenabschnitte Coesfeld - Gescher, Haltern-Schermbeck und die WLE-Strecke Ahaus-Heek wurden Massengutzüge mit Abraum aus dem Ruhrbergbau ("Waschberge") zum Auffüllen der Dammbauten an die Baustellen herangeführt.Die Waschbergzüge fuhren mit je einer Diesellok Baureihe 221 des Betriebswerks Gelsenkirchen-Bismarck am Anfang und Ende des Zuges. Die folgenden Bilder wurden im August 1984 zwischen Coesfeld und Gescher aufgenommen. Die Bilder stellen jeweils verschiedene Züge in den aufeinanderfolgenden Betriebsabläufen bei einem Waschbergtransport auf der Strecke zwischen Coesfeld und Gescher dar.
Die Züge aus dem Ruhrgebiet erreichten Coesfeld über die alte Verbindung Oberhausen - Dorsten - Rheine. Das erste Bild zeigt 221-106
als Schublok am Ende des Zuges nach dem Passieren eines Feldwegübergangs im Letter Bruch. Der Zug wird gleich die Blockstelle Heubach durchfahren und in wenigen Minuten Coesfeld erreichen. Dort macht der Zug Kopf und 221-106 führt dann als Spitzenlok das Gespann auf der alten Strecke Coesfeld-Borken bis zur Entladestelle in Tungerloh-Kapellen südöstlich von Gescher.

Ein anderer Waschbergzug hat in Coesfeld die Fahrtrichtung gewechselt und erklimmt den Damm zur Überführung, die die Borkener Strecke über die Bahn nach Oberhausen führt. Der Bahnübergang im Vordergrund markiert den Verlauf der Oberhausener Strecke, die diese Züge als An- und Abfuhrstrecke befahren.

Der gleiche Fotostandpunkt
in der Coesfelder Bauernschaft Flamschen im Herbst 2006. Die Brücke über die Straße ist verschwunden, das Schrankenwärterhäuschen und die Telegrafenmasten sind aber noch vorhanden und werden genutzt.


Im Jahre 2001 war auch die Brücke über die Oberhausener Strecke noch vorhanden, musste bald darauf aber wegen Baufälligkeit demontiert werden.


Im Sommer 1984 trägt die Brücke noch schwerste Lasten als sich dieser schwere Waschbergzug
auf dem Scheitelpunkt der Überführung in die Kurve legt.

Der gleiche Fotostandpunkt wenige Sekunden später, als sich der Zug mit der V 200 an der Spitze mit mäßiger Geschwindigkeit nähert.

Der gleiche Bahndamm ist im Herbst 2006 von der Natur überwuchert.
Am gleichen Fotostandpunkt für die vorausgehenden Bilder vom Sommer 1984 am ehemaligen unbeschrankten Übergang erinnert 2006 noch ein Kilometerstein an die alte Trasse nach Gescher und Borken. An dem Pfosten hing bis vor ein paar Jahren auch noch ein Warnhinweis auf eine Bahnanlage, deren Schienen aber schon längst verschwunden waren. Die Gleise wurden schon bald nach dem Ende des Waschbergverkehrs abgebaut.


Gehen wir zurück in das Jahr 1984 und blicken mit dem Beobachter am gleichen Standort jetzt in die andere Richtung an das Ende des nach Gescher weiterrollenden Zuges. Begleitet von zahlreichen Signaltönen vor den ungesicherten Bahnübergängen windet sich die Wagenschlange durch die Bauernschaft Flamschen; ein ungwohnter Anblick für diese Nebenstrecke, die in den zehn Jahren seit der Einstellung des Personenverkehrs 1974 nur gelegentliche Übergaben mit Kleinlok zu den Verladestellen in Gescher und Velen erlebt hat.

Der Zug passiert in Flamschen einen der zahlreichen Feldwegübergänge, die den Verkehr auf der Heidebahn von Coesfeld nach Bocholt beeinträchtigten.


Die Streckenverbindung war 1903 durchgängig von Münster über Coesfeld, Borken und Bocholt nach Empel-Rees eröffnet worden. In den Nachkriegsjahren verkehrten hier noch zahlreiche Schienebusse, Vorkriegstriebwagen und 078er-Tenderloks mit dreiachsigen Umbauwagen.
Allerdings betrieb die DB schon früh einen Omnibusverkehr parallel zur Schienenstrecke und dünnte ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre das Zugangebot immer mehr aus. Die zahlreichen ungesicherten Übergänge reduzierten die Geschwindigkeit auf 60 km/h. Möglicherweise hätte diese Verbindung zwischen den für Eigenheimbauer beliebten Wohngemeinden des Westmünsterlandes an das Oberzentrum Münster im Zuge der Wiederbelebung des Schienennahverkehrs mit moderner personalsparender Betriebstechnik und neuen Rollmaterial wieder eine Chance gehabt, wenn die Trasse erhalten geblieben wäre.

Nach dem Passieren des Überwegs läßt die Abgasfahne der Schlusslok ahnen, dass die Maschinen trotz der geringen Geschwindigkeit noch ein gutes Stück Arbeit zu leisten haben. Die Spitzenlok hat gleich den mit Lichtzeichen und Halbschranken gesicherten Übergang an der Verbindungsstraße Coesfeld-Hochmoor-Velen erreicht und nähert sich der Heidelandschaft von Goxel.

Der Waschbergzug rattert durch ein Waldstück bei der Wohnsiedlung Goxel Richtung Klye, einem längst aufgegebenen Halte- und Verladepunkt an der Kreuzung der Strecke mit der Bundesstraße 67. Auf der Trasse befindet sich heute zum Teil ein Radweg. Andere Abschnitte sind überpflügt worden.

Heute sieht es dort so aus:

Langsam schiebt die "V 200" den Wagenzug an der Entladestelle bei Tungerloh-Kapellen vorbei. Von dort wird das Erdreich zu den einzelnen Dammaufschüttungen per LKW weiterbefördert. Der an dieser Stelle bereits aufgetürmte Autobahndamm bietet einen idealen Fotosstandpunkt. Später wird der Damm auch die Bahntrasse an dieser Stelle abschneiden. Die fehlende Unterführung schließt eine künftige Wiederaufnahme des Schienenverkehrs endgültig aus.
Hier befindet sich heute die Autobahnauffahrt Coesfeld-Gescher.

Zügig macht sich der Leerzug auf den Rückweg nach Coesfeld und von dort weiter nach Dorsten . Heute erinnern allenfalls noch Baumreihen, Dammaufschüttungen und einige Schneisen den kundigen Beobachter an den Schienenverlauf zwischen Coesfeld und Borken. In Borken existiert nur noch ein kurzes Anschlußgleis zur Verladerampe der Bundeswehrkaserne.

Der aufgeschüttete Autobahndamm bietet einen guten Blick auf die "V 200", die um 1960 als Paradelok vor den Schnellzügen der DB galt und in den 80er Jahren schließlich als Güterzuglok im Ruhrgebiet abgefahren wurde. Die stärkere Version, die Baureihe 221, war Ende der 80er für diese Rolle noch modifiziert wurden, um nach dem Ende des Dampfbetriebs bei der DB 1977 auf der Emslandstrecke für eine Übergangszeit die Schwergüterzüge zu fahren, weil der elektrische Betrieb erst 1981 aufgenommen werden konnte. 1988 kam das Aus für die "V 200" im Betriebswerk Gelsenkirchen-Bismarck.


Der Fotograf vom Sommer 1984 ist zum Schrankenübergang an der Oberhausener Strecke zurückgekehrt, die wir im zweiten Bild bereits kennengelernt haben. Der Leerzug hat in Coesfeld die Fahrtrichtung geändert und kehrt in zügiger Fahrt nach Dorsten zurück. Im Hintergrund erkennt man an den Telegrafenmasten den parallel verlaufenden Bahndamm, der die Züge Richtung Borken zur Brücke über die Oberhausener Strecke führte.

Auf der anderen Seite des immer noch mit einem Schrankenwärter besetzten Übergangs sieht man 2006 immer noch den alten Bahndamm Richtung Gescher, von den Telegrafenmasten und der Überführungsbrücke ist aber keine Spur mehr zu sehen.
Die weiterhin befahrene Strecke von Coesfeld nach Oberhausen war in den 90er Jahren wegen ihres schlechten Zustandes gefährdet, wurde dann aber noch einmal instandgesetzt. Dies Foto zeigt den Bauzustand bei dem Block Heubach im Oktober 2006 . Von dem hier hinter der Kaserne in Flamschen einst vorhandenen Überholungs- und Begegnungsbahnhof ist nichts mehr übriggeblieben.

Die Strecke nach Gescher wurde Mitte der 80er Jahre aufgenommen und der Natur überlassen wie hier beim ehemaligen Bahnübergang an der Straße von Coesfeld nach Hochmoor.

... oder zum Radweg umgewidmet wie hier von Goxel Richtung Klye.

Der ehemalige Bahnübergang über die alte B 67 in Klye. Der dortige Bahnhof mit Verladestelle war bereits 1962/63 aufgelassen worden. Er war ursprünglich als Begegnungsbahnhof ausgelegt, wurde wegen des rückläufigen Verkehrs aber überflüssig.
Zum Abschluss noch ein heutiger Blick auf den Bauzustand der aus Richtung Süden in den Bahnhof Coesfeld eingefädelten Streckenverläufe. Links die Verbindung aus Richtung Dortmund-Dülmen, rechts die Linie aus Richtung Oberhausen-Dorsten-Maria Venn. In der Mitte der noch vorhandene Damm der ehemaligen Strecke nach Gescher-Borken-Bocholt-Empel. Der mehrfach beschriebene Schrankenübergang an der Oberhausener Strecke in Flamschen mit der alten Überführung der Borkener Linie liegt ca. 1 km weiter in Blickrichtung rechts.




Freitag, 29. Juni 2007

Rund um den alten Bahnhof – Schienenverkehr in Rhede vor 40 Jahren.

Rund um den alten Bahnhof - Schienenverkehr in Rhede vor 40 Jahren



1.Eigene Erinnerungen und Beobachtungen

Blickt man nach fünf Lebensjahrzehnten zurück, sind die Bilder aus vergangenen Tagen oft wieder erstaunlich lebendig. Vor allem dann, wenn ein alte Fernsehreportage oder ein Foto die Orte und Menschen von damals bewusst vor Augen führen. Man lebt in der Gegenwart, nimmt die Veränderungen in dieser Zeit in deutlicheren Konturen wahr und stellt voller Genugtuung fest: Ja, genau so war es. Dies geht einem nicht nur mit Bildern so, sondern auch mit allen anderen Sinneseindrücken. Plötzlich taucht da ein Klang auf, den man schon lange nicht mehr gehört hat oder empfindet einen Geruch, der sofort die Frage aufwirft: „Woher kennst du das noch mal?“

Mir sind die Kindertage immer besonders präsent, wenn irgendwo der Geruch von heißem Dampf und Öl zu schmecken ist und der Pfiff einer Dampflok bei einer Museumsfahrt zu hören ist. Ja, da ist sie wieder, die Zeit der alten Dampfeisenbahn. Und da ist dann ein Thema, das mich dann sofort wieder mit meinen frühen Jahren in Rhede verbindet. In späteren Jahren habe ich mich dann mit dem Thema Eisenbahn etwas umfassender beschäftigt und konnte viele Bilder der Erinnerung neu bewerten und deuten. Später erworbenes Wissen um Tatsachen und Hintergründe, die dem Schuljungen am Schienenrand damals unbekannt waren, geben nachträglich den Erinnerungsbildern eine neue Deutung und ergeben einen Sinn. So entstand der Versuch auch ohne viele Originaldokumente einen kleinen historischen Rückblick auf die Eisenbahngeschichte von Rhede in den Jahren 1950-1990 zu geben.

Wichtige Informationen gab die von der Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland herausgegebene Zeitschrift „Bahn Regional“. Darüber hinaus sind einige Artikel und Fotos von Hans Bones in der Zeitschrift „Lokmagazin“ zu nennen. Der im Stadtarchiv zugängliche Schriftverkehr der Gemeinde mit der Bahnverwaltung gab wichtige Aufschlüsse. Der dort auch aufbewahrte Bahnhofsplan von 1944 ließ viele Rückschlüsse zu. Die Eisenbahngeschichte des Münsterlandes darf auch die zahlreichen Fotos und Bildbände von Ludwig Rotthowe nicht verschweigen.

Aufgewachsen bin ich, Jahrgang 1953, in Rhede (Kreis Borken) in den 50er, 60er und frühen 70er Jahren, war dann bis 1985 an Wochenenden auch noch oft präsent. Diese Jahre stehen in der Erinnerung in enger Verbindung zum Geschehen am Schienenstrang zwischen Bocholt und Borken. Wir wohnten immer in Bahnhofsnähe, 1956 bis 1966 in der Krechtinger Straße, danach bis 1975 am Krommerter Weg. Großeltern und Onkel wohnten „Am Bahnhof“ direkt hinter den Gleisen. Der Schulweg zur Paul-Gerhard-Schule in der Ortsmitte kreuzte die Bahn am Schrankenübergang „Krechtinger Straße“. Oft musste man dort länger warten, wenn Güterwagen aus Richtung Bocholt angeliefert und mit der Dampflok rangiert wurden. In ganz früher Erinnerung sind noch schemenhaft die Umrisse großer Bauzüge und Eisenbahnkräne haften geblieben, die in der Zeit um 1957/58 zur Erneuerung des Gleiskörpers angerückt waren.

Vom Bahnhof her hörte man bis 1965 in der Krechtinger Straße den Schlag der Dampfzylinder von Tenderlokomotiven Baureihe 78, die mit ihren umgebauten dreiachsigen Personenwagen Richtung Borken oder Bocholt schnauften. Häufig dröhnten aber auch Dieselmotoren, wenn die noch aus der Vorkriegszeit stammenden Triebwagen oder die neuen leichteren Schienenbusse beschleunigten. Dazu kam das Klipp-Klapp von den Wasserpumpen, der abends auf dem Ausweichgleis vor dem Bahnhofsgebäude wartenden Güterzuglok Baureihe 50. In der Ferne hupten die Triebwagen und pfiffen die Dampfloks an den zahlreichen ungesicherten Nebenwegübergängen Richtung Borken und Bocholt.

Wenn man dann mal zum Einkaufen nach Bocholt fuhr und auf dem Bahnsteig stand, musste der Zug aus Bocholt dort immer den Gegenzug aus Borken abwarten. Vor allem in der Vorweihnachtszeit waren die Züge immer voll. Zwischen den Waggons rauchten dann im Winter die weißen Dampffahnen aus den Leitungen der Zugheizung, die von der Lok gespeist wurde.

Zu der bei mir etwa bis 1957 zurückreichenden Erinnerung gehören auch die gelegentlichen Zugfahrten zu den Großeltern nach Mönchengladbach-Rheydt. Das war damals um 1960 verglichen mit heute „eine Himmelfahrt“ mit fünfmaligem Umsteigen. Erst ging es von Rhede nach Bocholt mit dem Zug, manchmal auch schon mit dem Bus. In Bocholt wartete auf dem Gegengleis unter dem Bahnhofsdach aus Kaiserzeiten der Schienenbus nach Wesel.

In Bocholt waren zwei Bahnsteige in Betrieb. Man ging durch eine düstere Unterführung unter den Gleisen her, deren Treppenaufgänge mit schmutzigen Milchglasscheiben überdacht waren.


Der Schienenbus passierte dann Dingden und Hamminkeln und irgendwo lag an der Strecke ein großer Schrottplatz, der noch in Gedanken haften geblieben ist. In Wesel hatte man dann den Anschluss an den Verkehr in die „große weite Welt“. Beim Wechsel der Bahnsteige musste man auf hölzernen Trittsteigen die Gleise passieren. Eine Bahnsteigunterführung hatte Wesel Ende der 50er Jahre noch nicht. Für heutige Sicherheitsexperten sicher ein Gräuel. Wie man das damals auf der dicht befahrenen Strecke zwischen Oberhausen und Arnheim sicherheitstechnisch löste, weiß ich nicht. Ich meine mich aber zu erinnern, dass ein Bahnbeamter den Übergang immer mit einer Kette freigab oder sperrte.

Die Begeisterung war groß, wenn an der Spitze der aus den Niederlanden bzw. Emmerich kommenden und in Richtung Oberhausen weiterfahrenden Eilzüge die „große roten Diesellok“ in der nördlichen Einfahrtskurve auftauchte . Das war die berühmte „V-200“, der Schienenstar der DB aus den 50er Jahren, die mit ihren 2200 PS vor allem leichte Schnellzüge auf den damals noch zahlreichen nichtelektrischen Strecken beförderte.

Oft bespannten aber auch die bis 1966 noch im Betriebswerk Wesel beheimateten Dampftenderloks Baureihe 78 oder die unermüdliche „Mädchen-für-alles“-Baureihe 50 die immer vollen Züge Richtung Ruhrgebiet. Die waren ja langweilig, weil man sie von der Strecke Bocholt-Münster her auch kannte. Wenn der Zug Oberhausen erreichte, sah man dann auch schon mal die ersten elektrischen Loks, da der Fahrdraht 1958 auch das Industriegebiet erreicht hatte. Von größerem Interesse waren aber eher die neuen TEE-Triebwagen, die auf ihrem Kurs zu den Nordseehäfen, nach Süddeutschland und ins westliche Ausland das Ruhrgebiet passierten. In Oberhausen ging es dann weiter mit Umsteigen in Duisburg und Krefeld nach Mönchengladbach. Dort wartete dann die Straßenbahn Richtung Odenkirchen, wo die Oma und der Opa endlich den ins Westfälische verzogenen Enkel in die Arme schließen konnten.

Eine günstigere Verbindung gab es damals über Borken und von dort aus nach Wanne-Eickel. Da war die Tour ins Rheinland auch an einem Nachmittag zu schaffen. Wenn man nach Borken fuhr, passierte man erst den Bahnhof Rhedebrügge. In Borken fiel die relativ große Eingangshalle des Bahnhofs auf. Dort gab es sogar einen Buchladen. In Borken sah man bei der Ausfahrt in Richtung Wanne-Eickel auf dem Abstellgleis einen mechanisch betätigten kleinen Schienenkran, den ich zu meinem großen Erstaunen im Deutschen Museum in München 1975 wiedersehen sollte. Auf dem Schild wurde auf Borken/Westf. als Herkunftsort des Exponats hingewiesen. Über Borken musste man auch fahren, wenn man den Ruhrzoo in Gelsenkirchen besuchen wollte. Der war damals Ende der 50er-Jahre der große Ausflugshit. Es gab ermäßigte Zug- und Eintrittstickets. In meiner Erinnerung haben wir diese Tour in den Jahren vor und kurz nach 1960 zweimal gemacht. Einmal mit dem Kindergottesdienstausflug der evangelischen Paul-Gerhard-Gemeinde unter der bewährten Leitung des damaligen Pastor Fehse und der Gemeindeschwester Gertrud. Dann noch mal später mit der im gleichen Haus ,Krechtinger Str. 18´ lebenden Familie. Der dritte Besuch im Ruhrzoo erfolgte dann bereits mit dem Bus, als der Gründungsschulleiter der Rheder Realschule „Papi Damm“ mit seinen Zöglingen aus der allerersten Klasse dieser Schule um 1964 einen ersten Ausflug wagte.

War der Verkehr an Wochen- und Feiertagen recht rege, und gab es an Kirmessonntagen in Bocholt und Rhede sogar Schienenbusse im Pendelverkehr, so setzte dann bis zur Mitte der 60er Jahre doch der schnelle Niedergang des Schienenverkehrs im Münsterland ein. Bei den Fahrten nach Bocholt bevorzugte man immer öfter die roten Bahnbusse aus Richtung Borken oder die gelben Postbusse aus Richtung Vreden. Die „Gummibahn“ verdrängte im Nahverkehr zunehmend die Züge. Die Familienfahrten ins Rheinland fanden ab 1960 auch oft schon mit den Mercedes-Koffer-LKW oder „Hanomags“ der Firma Karl Hoeck statt, die auf ihren Frachttouren die niederrheinischen Textilstädte bereisten. Im Fahrerhaus war dann noch Platz für eine dreiköpfige Kleinfamilie. Mit dem ersten familieneigenen Käfer im Herbst 1962 war dann wie in vielen Familien damals die Bahn kaum noch ein Thema.

Vor der Autowelle rollte aber damals zuerst die Reisewelle und so muss noch über eine große Zugfahrt berichtet werden, die im Sommer 1961 stattfand. Die Eltern hatten zum ersten Mal eine Pauschalreise an die Ostsee gebucht. So starteten wir morgens mit einem der alten roten Vorkriegstriebwagen in Richtung Münster. Der Bahnhof der Westfalenmetropole vermittelte einen Hauch von „großer Welt“. Da gab es ein großes Bahnhofsrestaurant und eine richtige Bahnpolizei, die mit ihren blauen Uniformen ganz anders aussah als die „grünen“ Wachtmeister aus dem Heimatdorf.

Wir warteten auf Gleis 1/101, so heißt das jedenfalls heute, auf den Reisebürosonderzug des Touristikunternehmens „Scharnow“. An der Spitze der langen Wagenschlange, ich traute meinen Augen nicht, eine rote V 200, die ich ja schon in Wesel vereinzelt bewundert hatte. Nachdem wir mit unseren Koffern den auf der Fahrkarte vermerkten Sitzplatz gefunden hatten, saßen wir nun mit einer Familie aus Düren in einem Liegewagenabteil und rollten Richtung Norden. Kurz vor Osnabrück wurde es für einen Augenblick dunkel, weil der Zug den Lengericher Eisenbahntunnel durch den Teutoburger Wald passierte. Ein- und Ausfahrt wurden ordnungsgemäß vom Lokführer mit einem Pfiff signalisiert. Die Fahrt über Bremen nach Hamburg schien eine Ewigkeit zu dauern. Aus der Beschäftigung mit dem Thema Eisenbahn in späteren Jahren weiß ich heute, dass damals im August 1961 die bewunderte Diesellok „V-200“ mit der langen Wagenschlange von Liegewagen ihre liebe Mühe gehabt haben muss. Diese Loks waren auf die schnelle Beförderung leichter Schnellzüge ausgelegt. Vor schweren Zügen liefen die beiden 1100 PS-Motoren schon mal gerne heiß. Die damals auf der „Rollbahn“ zwischen dem Ruhrgebiet und der Nordsee im Schnellzugverkehr noch dominierenden Dampfloks der Baureihe 012 hätten sich mit ihrer etwas höheren PS-Zahl und größeren Zugkraft weniger anstrengen müssen. Aber Dampf war ja in den Wirtschaftswunderjahren, trotz seiner immer noch großen Verbreitung auf den Gleisen, nicht mehr modern. Die Werbeanzeigen der DB propagierten immer wieder: „Wir gewöhnen uns das Rauchen ab“.

In Hamburg ließ dann die Trassenführung der Gleise sogar einen Blick auf die an den Kaimauern vertäuten Hochseedampfer zu. Für einen Zweitklässler der Paul-Gerhard-Schule aus Rhede natürlich eine Sensation. In Hamburg stand der Zug lange auf einem Wartegleis, bevor er dann weiter Richtung Lübeck und Neustadt/Ostsee geschleppt wurde. Am Schluss hing wieder eine der „lahmen“ Dampftenderloks davor. In der Erinnerung haften geblieben ist auch noch der Augenblick als man irgendwann vom Zug aus plötzlich auf die blaue Ostsee in der Abendsonne blicken konnte und dort ein Dampfer mit schwarzer Rauchfahne seine Bahn zog. Von Neustadt ging es mit dem gelben Postbus weiter ins Ostseebad Grömitz . Am Zielort wurden die Familien dann auf die mit heutigen Ansprüchen verglichen recht bescheidenen Privatunterkünfte verteilt.

Als historische Randnotiz sei noch vermerkt, dass der Tag des Mauerbaus am 13.August 1961 in Berlin genau in diese zwei Urlaubswochen fiel. Etliche Touristen rannten voller Panik an den Strand als Minensuchboote der Bundesmarine in Sichtweite kamen. „Jetzt kommen die Russen und schneiden uns hier oben ab“, lautete das Gerücht. Das blieb dann glücklicherweise aus und das Urlaubsvergnügen konnte am Ostseestrand fortgesetzt werden.

Die Rückfahrt nach zwei Wochen sollte in einer Nachtfahrt erfolgen. So warteten wir abends mit unseren Koffern in der überfüllten Bahnhofshalle von Neustadt/Holstein. Erinnerungen an die damals in vielen Filmen und Erzählungen immer wieder heraufbeschworene Kriegs- und Flüchtlingszeit kamen auf. Das lag ja nur anderthalb Jahrzehnte zurück und die Drohungen des Kalten Krieges über dem geteilten Land trugen mit zu der bei aller wirtschaftlichen Blüte doch oft angstvollen Stimmung bei.

Die Reisenden waren froh als in der Dunkelheit die Tenderlok endlich den Reisebürosonderzug in den Bahnhof von Neustadt schleppte.

Die Rückfahrt über die „Rollbahn“- so nennen Eisenbahner die Trasse zwischen den Häfen und dem Ruhrgebiet- verbrachten wir schlafend auf den über den Sitzreihen in drei Etagen ausgeklappten Liegen. Heute fährt man an einem halben Tag von Lübeck bis Dortmund.

In Erinnerung geblieben ist auch noch ein kleiner Vorfall der auf der Rückfahrt für Aufregung sorgte. Mitten in die gerade aufwachende Reisegesellschaft verkündete der Zugansager: „In wenigen Minuten erreichen wir Münster“. Da mussten viele raus und ein Fahrgast soll sogar einen Herzanfall bekommen haben, bevor sich der unglückliche Ansager korrigieren konnte: „Entschuldigung, ich meinte Osnabrück“. In einem mit Anhänger (korrekt heißt es „Steuerwagen“) bespannten Schienenbus ging es dann zurück Richtung Bocholt. Im Bahnhof von Coesfeld bat mich ein Schaffner darum, auf irgendein Signal zu achten, dass nach Knopfdruck im Nachbarwagen ertönen sollte. Ich weiß bis heute nicht, was er wollte und nickte einfach „Ja.Ja“. Hinterher auf der Fahrt plagten mich schwere Gedanken, ob denn vielleicht die Fahrsicherheit davon beeinträchtigt werden könnte. Glücklicherweise erreichten wir ohne Unfall den Bahnsteig in Rhede.

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre wurde es dann merklich ruhiger um die Nutzung der Schiene. Der Sonntags- und Feiertagsbetrieb wurde 1966 zwischen Coesfeld und Bocholt eingestellt Nach Bocholt fuhr man in der Woche, wenn der arbeitende Papa nicht als Chauffeur zur Verfügung stand, eher mit dem Bus, obwohl die Haltestellen an der Gudula-Kirche und Hardtstraße eigentlich viel weiter vom Krommerter Weg weglagen als der Rheder Bahnhof. Für die Busse gab es in Bocholt auch noch keinen zentralen Busbahnhof. Man musste vor der Christuskirche oder am Bahnhof aussteigen. Die Bevorzugung des „Schienenersatzverkehrs“ lag natürlich auch an der Ausdünnung des Fahrplans seit 1966. Die Kursbuchstrecke 224d stand auf der Streichliste der defizitträchtigen Staatsbahn und es begann ein Feilschen zwischen den Kommunen und der Bahn um den Fortbestand des Schienen-angebots.

Zweimal fuhren wir als Rheder Realschüler mit einem Schülersonderzug. Im Winter 1965 schleppten zwei Güterzuglokomotiven der Baureihe 50 einen Wintersportsonderzug von Bocholt quer durch das noch allerorts rauchende Ruhrgebiet nach Meinerzhagen. Wir mussten unsere Rodelschlitten in die Abteile mitnehmen. Im Frühjahr 1968 bot die Bahn für Bocholter und Rheder Schulen einen Sonderzug zum Wandern nach Heimbach in der Eifel an. Der holte uns sogar in Rhede ab. Interessant war die Zuglok, die ich aus keinem Märklin-Katalog kannte. Es handelte sich, wie ich Jahrzehnte später herausfinden sollte, um eine absolute Rarität. Den Sonderzug von Rhede über Bocholt-Wesel – Köln – Düren nach Heimbach und zurück schleppte die dieselelektrische Versuchslok DE 2000, die von der Lokomotivindustrie zu Versuchszwecken an die DB vermietet worden war. Ihre für Bundesbahnloks ungewöhnliche blau-rote Farbgebung und das keilförmige futuristische Führerhaus passten so gar nicht auf die Gleise des Rheder Bahnhofs. Bei der Durchfahrt in Wesel rangierte dort auf den Gütergleisen gerade eine elektrische Güterzuglok der älteren Baureihe 191. Diese dreiteiligen grünen Ungetüme aus der Vorkriegszeit, deren Antrieb mit Treibstangen noch sehr an Dampfloks erinnerte, waren damals in Oberhausen-Osterfeld stationiert. Auf der Hauptstrecke ab Wesel drehte die DE 2000 kräftig auf. In Köln-Nippes musste der ganze Zug auf freier Strecke halten und setzte komplett zurück, weil er „sich verfahren“ hatte, d.h. er war fehlgeleitet worden.

Bahntechnisch veränderte sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre einiges im Zugverkehr, den ich nun weitgehend nur noch als Beobachter und nicht mehr als Nutzer verfolgte. Im Jahre 1965 verschwanden die Dampftenderloks der Baureihe 78, die zum Betriebswerk Gronau gehörten und von den Coesfelder und Münsteraner Betriebswerken aus eingesetzt worden waren. Möglicherweise hielten sie sich noch ein klein wenig länger auf dem Abschnitt Coesfeld-Münster. Auch die bei der Bahn seit den 50er Jahren allgegenwärtigen und wirtschaftlichen Schienenbusse waren abgezogen worden. Sie waren vorzugsweise an Sonn- und Feiertagen eingesetzt worden, weil die Dampfloks dann schon mal öfter pausierten, um Kosten für die Feuerunterhaltung zu sparen. Für den verbleibenden Betrieb reichten um 1966 die Vorkriegstriebwagen . Dann sah man zuweilen auch schon mal lokbespannte Wagenzüge mit nagelneuen Dieselloks der Baureihe V 100. Sie waren kleiner als die V 200 und besaßen nur einen Motor und waren an ihrem Führerstandshaus in der Mitte zu erkennen. Sie sollten die eigentliche Ablösung für die zahlreichen älteren Dampfloks aus der Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik sein.

Auch die bei der DB bis weit in die 70er Jahre noch sehr verbreiteten Güterzugloks der Baureihe 50 kamen kaum noch nach Rhede. Als sich an einem Winterabend Anfang 1971 eine 50er aus dem Betriebswerk Oberhausen-Osterfeld hierhin verirrte, war das schon was Besonderes. Die Aufgabe des abendlichen Güterwagensammlers erledigte meist eine einzelne V100. Für die Zustellung der Güterwagen von und nach Bocholt reichten jetzt oft auch schon die als „kleiner Josef“ bekannten Kleindieselloks der Baureihen 321 oder 333. Anfang der 60er hatte der Rheder Bahnhof für Rangieraufgaben sogar über eine eigene Kleinlok verfügen können.

Um 1967 und 1968 tauchten fabrikneue dreiteilige Triebwagen auf, die mit ihrer rot-weißen Frontpartie recht modern wirkten. Es handelte sich um die später Baureihe 624 genannten Neubautriebwagen VT 24, die im Münsterland erprobt wurden. Für einen Dauereinsatz schieden sie aber aus, weil sie vom Transportvolumen für den Verkehr zwischen Borken und Bocholt überdimensioniert waren. Sie wurden dann aber später zu einem Standardfahrzeug auf den etwas belebteren Nebenstrecken in Nord- und Westdeutschland und sind erst nach der Übernahme des Schienenverkehrs durch neue nichtbundeseigene Anbieter um 2003 von den Gleisen des Münsterlandes verschwunden. Da die Vorkriegstriebwagen bis 1970 außer Dienst gestellt wurden und die Baureihe 624 wieder abgezogen wurde, sah man im Jahre 1969 noch mal übergangsweise Personenzüge mit der Diesellok V 100 auf der heimischen Strecke.

Nach 1969 bis zur Einstellung des Personenverkehrs im Mai 1974 verkehrten dann nur noch Akkumulatortriebwagen der Baureihe 515, bis 1968 ETA 150 genannt. Diese von zwei Elektromotoren angetriebenen Fahrzeuge wurden aus schweren Akkumulatoren im Wagenunterbau gespeist, die in den nächtlichen Ruhezeiten an Ladestationen in den Einsatzbahnhöfen aufgeladen wurden. Diese Fahrzeuge machten sich im Rheder Bahnhof jetzt mit den lauten Anfahrgeräuschen ihrer Elektromotoren bemerkbar. In den verkehrsarmen Zeiten verkehrte oft nur ein Einzelfahrzeug, normalerweise waren die Einheiten aber zweiteilig mit Triebeinheit und antriebslosen Steuerwagen. Der in den späten 50er Jahren noch mit Betonschwellen erneuerte Oberbau vertrug das hohe Gewicht dieser „Steckdosen-Intercitys“ besser als andere Nebenstrecken mit Holzschwellen. Mit dem Besuch eines Aufbaugymnasiums in Bocholt ergab es sich in Einzelfällen schon mal, dass man samstags nicht mit dem Bus, sondern mit einem dieser Triebwagen nach Rhede zurückfuhr.

Die morgendliche Fahrt mit dem Zug zur Schule war unmöglich, weil der Triebwagen erst kurz vor 8.00 h in Bocholt eintraf. An den Schülerverkehr hatten die Bahnplaner wohl nicht gedacht, obwohl die Bahn- und Postbusse Richtung Bocholt immer übervoll waren und die Schüler sich in den Gängen und Türeinstiegen gegenseitig auf den Füßen standen.

Eine kleine Renaissance der Bahnnutzung begann im Juli 1972 als ich mit einer Gruppe gleichaltriger männlicher Jugendlicher aus Rhede den Bahnsteig betrat, um mit einer Militärfahrkarte zu einem heimatfernen Militärstandort zu rollen. So begann eine kleine Schienen-Odyssee über Borken, Ramsdorf, Velen, Gescher, Coesfeld, Lutum, Billerbeck, Havixbeck, Roxel nach Münster. Dort angekommen, oh Wunder, rangierte eine gewaltige Schnellzugdampflok Baureihe 012 gerade vor einen mit vielen Bädertouristen besetzten Schnellzug Richtung Rheine -Emden - Norddeich. Und am Spätnachmittag setzte sich in Hannover eine Güterzugdampflok Baureihe 50 vor den Militärzug, der uns nach Wahrenholz in der Lüneburger Heide bringen sollte. In Rhede hatte man nicht so recht mitbekommen, dass es in vielen Teilen Deutschlands Anfang der 70er Jahre im schweren Güterverkehr und zum Teil auch noch im Reiseverkehr weiterhin zahlreiche Dampfloks gab. Die DB hatte den Termin ihres endgültigen Rauchverzichts immer weiter hinausschieben müssen, weil der Konjunkturaufschwung und das Fehlen leistungsfähiger Dieselloks die Dampfrösser in vielen Diensten noch unverzichtbar machten. Auf der Emslandstrecke hielten sie sich bis Oktober 1977 und wurden von den Betriebswerken Rheine und Emden eingesetzt. Damit endete die Ära von „König Dampf“ bei der DB. Auf der Strecke aus Richtung Wanne-Eickel über Borken nach Winterswijk verkehrten bis 1976 ebenfalls noch einzelne dampfgeführte Güterzüge. Die letzten Schnellzugloks der Reihe 012 wurden allerdings schon etwas früher im Frühjahr 1975 in Rheine abgestellt.

Vom Juli 1972 bis September 1973 musste ich mich also in das Heer der Wehrpflichtigen einreihen, die am Wochenende Bahnsteige und Züge bevölkerten. Das bedeutete, dass ich in der Regel freitags nachmittags kurz nach 17.00 h in Bremen den Schnellzug Richtung Süden bestieg und nach knapp zwei Stunden in Münster eintraf, um in den auf Gleis 1/101 (s.o) wartenden Akku-Triebwagen Richtung Bocholt zu springen. Der rollte dann noch relativ zügig mit bis zu 80 Stundenkilometern über die malerische Baumbergebahn bis Coesfeld. Hier hieß es erst mal 20 Minuten warten, da in dem westmünsterländischen Knotenpunkt die Anschlusszüge aus Richtung Rheine, Oberhausen, Dortmund und Gronau abgewartet werden mussten. Dann ging es gemächlich mit Tempo 60 (wegen der vielen ungesicherten Bahnübergänge) auf der Borkener Strecke weiter nach Westen, um erst gegen 21.10 h die Bahnsteigsperre in Rhede zu passieren. Wenn die Verbindung im Münster um sieben nicht klappte, gab es noch eine Spätbusverbindung von Münster bis Bocholt. Die Rückfahrt am Sonntagabend erforderte wegen der Betriebsruhe an Feiertagen den Transfer nach Coesfeld mit PKW oder Bus. Dort wartete dann um 19.00 Uhr eine V 100-Diesellok mit den immer noch verwendeten alten Umbaudreiachsern, die bis 1965 von Dampftenderloks auf der alten Heimatstrecke gezogen worden waren, um die zahllosen unfreiwilligen Wochenendtouristen mit den Olivsachen im Gepäck zum Hauptbahnhof Münster zu befördern. Bei einer dieser ersten Fahrten im Herbst 1972 rollte aus Richtung Rheine ein Personenzug mit einer Dampflok der Baureihe 041 in den Coesfelder Bahnhof ein. Das war aber eine Ausnahme. Letzte persönliche Eindrücke von Mitfahrten unter Dampf brachten im Mai 1973 Manöverzüge aus dem Rheintal in den Hunsrück, die von 50ern des Betriebswerkes Bingerbrück bespannt waren.

Mit dem Ende des „Bundeswehrtourismus“ war das Bahnfahren im Westmünsterland für mich noch nicht ganz zu Ende. Im ersten Studiensemester stand noch kein Auto zur Verfügung und so gab es noch eine Handvoll Fahrten zwischen Rhede und Münster in den Akku-Triebwagen auf der seit den 60er Jahren in der Öffentlichkeit vergessenen „Heide- und Baumbergebahn“. Bei Tageslicht, wenn man über die Wiesen, Felder und Wälder blicken konnte und an den gemütlichen Bahnhöfen wie Rhedebrügge, Ramsdorf , Velen oder Lutum vorbeizockelte, war das ja auch ganz beschaulich. Besonders wenn die Bahn hinter Billerbeck in einem Bogen die Baumberge umrundete, bot sich jede Menge Landschaft. Langweilig war es im Dunkeln, wenn man wegen der Innenbeleuchtung draußen kaum was sah und man bei dem Bummeltempo dann schon mal auf den roten Plastiksitzen ungeduldig hin- und herrutschte.

Eine Tagesrückfahrt von und nach Münster zum Ende der Semesterferien im April 1974 war dann die letzte Tour. In Erinnerung ist geblieben, dass in diesen Jahren die Züge morgens Richtung Münster und in den späten Nachmittags- und Abendzeiten gar nicht so leer waren, wie es in den Diskussionen um Streckenstillegungen immer geheißen hatte. Natürlich war der Betrieb nicht rentabel. Zu viel Personal musste für den Betrieb der alten Sicherungstechnik vorgehalten werden und die Reisegeschwindigkeiten waren für den Personenverkehr im Vergleich zum PKW unattraktiv. Eine Fahrt von Rhede nach Münster dauerte um die zwei Stunden.

Die Bundesbahn hatte in den 60er Jahren konsequent an dem Ausbau des Bahnbusdienstes als Ersatz für den Schienenverkehr gearbeitet. Wegen politischer Widerstände gelang es ihr allerdings nicht, die Strecken in dem gewünschten Tempo stillzulegen. So entstanden zwischen Münster und Bocholt wie in vielen Teilen der Republik Parallelverkehre bei denen Busse und Züge die gleichen Orte anfuhren.

Die aus Reichsbahnzeiten stammende Arbeitsteilung hatte eigentlich vorgesehen, dass der von der Post betriebene Busdienst, die schienenfernen Orte bediente und die Bahn sich auf die Schiene beschränkte. Demzufolge wurde in Rhede ja auch der Verkehr Richtung Oeding und Vreden von Postbussen bedient. Am Ende hatte der Bahnbus den Triebwagen verdrängt und den Postbusdienst übernommen.

So rollte am 25.5.1974 an einem Samstagabend kurz nach 21.00 h nahezu unbeachtet ein Akku-Triebwagen als Eilzug E 1926 in den Rheder Bahnhof ein, um dann als letzter fahrplanmäßiger Reisezug Richtung Bocholt weiterzufahren. Ich habe diese Fahrt leider nur vom Balkon am Krommerter Weg registriert und versäumt, das Ereignis fotografisch zu dokumentieren.

Was dann folgte waren nur noch vereinzelte Beobachtungen des verbliebenen Güterverkehrs, der sich immerhin bis 1991 noch halten konnte. Rhede war auch nicht mehr Dauerwohnsitz und die Beobachtung des Schienengeschehens ließ nach. In den 70er Jahren kam abends immer noch eine V 100 aus Bocholt, die in Rhede und Rhedebrügge die Güterwagen abholte. Später übernahm diese Leistung immer häufiger eine Kleinlok der Baureihe 333. Wenn ich an Wochenenden in Rhede war, kündigte Samstagmorgens der Pfiff der kleinen Übergabelok an, dass die Strecke noch nicht ganz tot war. Im Jahre 1982 schoss ich an einem Samstagnachmittag bei der Durchfahrt eines Betriebsauflugsonderzuges der Firma Flender mein einziges Bahnfoto vom Schienenbetrieb im Heimatort (siehe Kapitel 3).

Nach 1985 habe ich keine unmittelbaren Beobachtungen mehr gemacht und das Geschehen nur noch aus Meldungen in der Presse oder Eisenbahnzeitschriften verfolgen können. Am 25.5.1991 endete mit einer Sonderzugfahrt eines Museumszuges von Bocholt nach Rhedebrügge endgültig der Schienenverkehr in Rhede. Die bekam ich sogar zufällig bei einer Ausflugsfahrt mit dem Auto mit.

2. Die Strecke

Die Bahnlinie durch Rhede, zuletzt als Kursbuchstrecke 286, geführt, gehörte zu einer um die Jahrhundertwende zwischen 1900 und 1908 in Abschnitten entstandenen eingleisigen Verbindung von Münster über Coesfeld, Borken und Bocholt nach Isselburg und weiter ins niederheinische Empel bei Rees, wo die Strecke in die Bahn Oberhausen- – Emmerich - Niederlande einmündete. In dieser Karte von 1952 ist sie noch im Umfeld des westmünsterländischen Streckennetzes vollständig zu verfolgen. Die Streckenkilometer wurden ab Empel gezählt und erreichten beim Anschluss an die Hauptstrecke bei Münster-Geist die Kilometerzahl 107. Rhede lag am Kilometerstein 25,09 der damaligen Kursbuchstrecke 224 d.


Der westlichste Abschnitt von Isselburg nach Empel wurde schon 1961 (andere Quellen sagen 1962) stillgelegt und musste dem Autobahnbau der „Hollandlinie“ weichen. Die Trasse wurde dort sofort abgebaut und ist heute nur noch am Verlauf eines Radweges zu erkennen. Der Personenverkehr zwischen Coesfeld und Bocholt wurde am 25.5.1974 eingestellt. Die Bedienung von Güterkunden von Bocholt nach Rhede und Rhedebrügge lief aber er erst um 1987, offiziell erst im Mai 1992 aus.

Die Nutzung der Strecke von Borken nach Rhedebrügge wurde schon 1976 eingestellt und dieser Abschnitt im September 1981 endgültig stillgelegt. 1996 wurde die Trasse zwischen Bocholt und Rhedebrügge aufgenommen. Sie durfte aber im Bereich Bocholt-Rhede im Rahmen eines Trassensicherungsabkommens zwischen der DB und dem Land NRW nicht überbaut werden. Auch bis Rhedebrügge ist der Streckenverlauf noch vorhanden und zwischen Borken und Rhedebrügge als Radweg ausgebaut.

Der Streckenabschnitt von Bocholt bis Mussum wird heute noch als Anschlussgleis für den dortigen Industriepark genutzt. In Borken gibt es noch einen Gleisstumpf vom Bahnhof zur Verladerampe der Kaserne, der aber mit der Schließung des Standortes im März 2007 auch überflüssig geworden ist.

Dies Foto zeigt den Zustand des Borkener Anschlussgleises zur Rampe im Frühjahr 2007. Wer weiß noch, dass hier mal Züge nach Münster und Bocholt rollten?

Zwischen Borken und Coesfeld wurden die Gleise ab Mitte der 80er Jahre aufgenommen. Hier ist die Trasse zum Teil auch nicht mehr vorhanden.

In Ramsdorf erinnert noch ein Denkmal mit Flügelsignalen an die alten Schienenzeiten (Aufnahmen Sommer 2007).


In Coesfeld - Flamschen findet man noch den alten Bahndamm mit Resten von Warnschildhinweisen auf eine DB-Anlage. Die dortige Brücke über die Strecke nach Dorsten-Oberhausen musste allerdings aus Sicherheitsgründen demontiert werden. Zwischen Goxel und Flamschen wurde die Trasse nicht überbaut oder überpflügt, sondern blieb als Rückzugsfläche für die Artenerhaltung unberührt (Aufnahme Sommer 2007).


Zwischen Goxel und Flamschen (Sommer 2007)

Zwischen Ramsdorf und Borken kann man den ehemaligen Verlauf auf der Höhe des Lünsberges nur ahnen (Sommer 2007)


Kurz vor Betriebsende und Demontage hatte der Abschnitt zwischen Coesfeld und Gescher 1984/85 noch eine kurze Wiedergeburt erlebt als Schwergutzüge aus dem Ruhrgebiet Zechenabraum zum Bau der A 33 zu einer Entladestelle in Gescher transportierten. Mit je einer „V 200“ an beiden Enden rollten diese Züge vom Coesfelder Bahnhof über die zu diesem Zweck sogar noch ausgebesserte Strecke Richtung Gescher.

Zwischen Coesfeld und Münster besteht weiterhin reger Personenverkehr. Der Güterverkehr ist mittlerweile ziemlich zum Erliegen gekommen, weil die DB-AG die Bedienung in der Fläche abgebaut und anderen Betreibern auf Straße oder Schiene überlassen hat.

In Bocholt und in Borken bestand und besteht weiterhin ein Anschluss nach Süden Richtung Wesel bzw. Wanne-Eickel. Diese beiden Anschlussstrecken waren ursprünglich Teil von zwei wesentlich älteren Verbindungen aus der Zeit um 1880 zwischen dem Industriegebiet und den Niederlanden gewesen. Die Strecke von Bocholt nach Winterswijk führte aber nach dem Krieg nur noch als Anschlussgleis bis zu dem Ort Barlo. Anfang der 60er Jahre hatte sie auch noch eine Bedeutung für das Ausbildungslager der Bundeswehr im Stadtwald. Die Güterzustellung nach Bocholt - Barlo endete dann auch 1990. Die Verbindung von Borken nach Winterswijk wurde für den Güterverkehr noch bis 1979 aufrechterhalten. Dort fuhren regelmäßige Durchgangsgüterzüge, die bis 1976 von Dampfloks der Baureihe 44 aus Gelsenkirchen - Bismarck oder dieselelektrischen Loks der niederländischen Staatsbahnen befördert wurden. Später kamen dann Dieselloks der Baureihen 216 oder 218. 1979 wurde die Verbindung auf einen Güteranschluss nach Borken - Burlo gekappt und dessen Bedienung 1994 eingestellt. Die Strecke nach Winterswijk wurde von der Natur überwuchert und auf niederländischer Seite als Naturschutzgebiet vom Staat erworben.

Die Trasse von Bocholt nach Barlo sollte ursprünglich wegen der besonderen Art des Oberbaus aus Denkmalschutzgründen erhalten bleiben, musste dann aber auch Mitte der 90er Jahre nach einem von der DB gewonnen Rechtsstreit dem Abrissbagger weichen. Die südlichen Abschlüsse von Borken nach Wanne-Eickel und von Bocholt nach Wesel sind im Zuge einer Wiederbelebung des ÖNV bis heute erhalten geblieben.

Von Borken aus führte die Nordtrasse der Westfälischen Landeseisenbahn (WLE) Richtung Stadtlohn bzw. Ahaus und eine Zweigstrecke nach Vreden. Auf der Nordbahn verkehrte bis September 1975 der Grenzlandexpress, der seit den 50er Jahren eine schnelle Tagesrandverbindung aus dem Raum Gronau Richtung Düsseldorf und zurück bot. Im Güterverkehr wurden die Anschlüsse nach Vreden und Stadtlohn noch bis 1988 bedient. Bis 1984 hatte das die WLE mit eigenen Fahrzeugen geleistet, in den letzten Jahren dann die DB.

Die zahlreichen Anschlüsse des zentralen Knotenpunktes Coesfeld in Richtung Rheine, Ahaus, Münster, Dortmund, Oberhausen und Borken wurden in Teil 1 schon kurz genannt.

Für die Betrachtung der Eisenbahngeschichte Rhedes im engeren Sinne ist ohnehin nur der Abschnitt zwischen Bocholt und Rhede von Bedeutung. Von Borken und Rhedebrügge kommend kreuzte die Strecke noch auf dem Gebiet von Borken-Rhedebrügge die B 67 mit unmittelbar folgender Überquerung der Bocholter Aa. Dieser Bahnübergang war mit Blinkzeichen gesichert, die in den 70er Jahren durch Halbschranken verstärkt wurden. Die Brücke über die Aa steht heute noch und musste gegen unbefugtes Betreten abgeperrt werden. Für die Lokführer zeigten Blinksignale, die in ca. 300 m Entfernung westlich und östlich des Übergangs standen, das Funktionieren der Blinkampeln an. In Richtung Rhede folgten mehrere ungesicherte nur durch Andreaskreuze gesicherte Bahnübergänge, von denen der bei dem ehemaligen Freibad Rapperskölke den Älteren sicher noch in Erinnerung ist. Es gab in dem Bereich auch nichtöffentliche Überwege ohne Andreaskreuze, die durch einfache Schilder mit dem Hinweis „Privatwegübergang. Nur für Berechtigte.“ markiert waren. Die zahlreichen ungesicherten Übergänge zwischen Coesfeld und Bocholt ließen nur eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h zu. Die Lokführer mussten vor jedem Übergang ein Warnsignal geben, so dass das Kommen des Zuges sich schon aus der Ferne durch Pfiffe oder Hupen ankündigte.

Im Bereich des ehemaligen VfL-Sportplatzes von Rhede regelte ein einfaches einflügeliges Formsignal die Einfahrt in den Bahnhof. Vorsignale waren bei der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 60km/h nicht erforderlich. Der Zug passierte dann den mit einer Warnblinkanlage gesicherten Übergang an der Münsterstraße, die bis Mitte der 50er Jahre noch den Verlauf der Bundesstraße 67 darstellte. Im Bahnhof verzweigten sich die Rangier- und Bahnsteiggleise. Dies wird gesondert in Kapitel 3 beschrieben. Aus Richtung Bocholt kommend sicherte ein weiteres Formsignal an der Industriestraße die Einfahrt aus westlicher Richtung.

Nach der Durchfahrt des Bahnhofs folgte der Schrankenübergang an der Krechtinger Straße. Die Schranken wurden von einem im Bahnhof im Freien stehenden Kurbelwerk bedient. Der Fahrdienstleiter musste dann bei jedem Wetter die beiden Schrankenbäume mit den Handkurbeln neben dem Eingang zur Schalterhalle runterdrehen. Das Läutewerk der beiden Schrankenbäume gehört auch zu den vertrauten Hintergrundgeräuschen des häuslichen Umfeldes. Die beiden Formsignale waren natürlich auch mit den Übergängen an der Krechtinger Straße und Münsterstraße sicherheitstechnisch gekoppelt und gaben die Einfahrt erst frei, wenn die Übergänge gesichert waren.

In westlicher Richtung verlief die Trasse parallel zur Industriestraße und passierte den Komplex der ehemaligen Textilfirma Harde, um dann den Rheder Bach zu überqueren und am Kirmesplatz vorbeizufahren. Nachdem die Lindenstraße passiert worden war, rollten die Züge im Bereich der Schillerstraße und Jahnstraße durch dichtere Bebauung. Die Übergänge Lindenstraße, Schillerstraße und Jahnstraße waren bis Mitte der 50er Jahre nur durch Andreaskreuze gesichert. Bei den amtlichen Streckenbegehungen wurden immer wieder die Behinderungen der Sichtverhältnisse durch Hecken oder Wäscheleinen beklagt. So kam es, dass die Übergänge an der Lindenstraße und Schillerstraße im Zuge der Umbaumaßnahmen von 1957/58 durch Schranken gesichert wurden, die von einem neu gebauten Schrankenwärterhäuschen an der Lindenstraße bedient wurden. Der Übergang an der Jahnstraße wurde geschlossen und mit Holzbohlen verbarrikadiert.

Am westlichen Ortsausgang passierte die Bahn die Hardtstraße, die nur eine Warnblinkanlage aufwies, welche noch auf die Zeit zurückging, als hier die B 67 in die Ortsmitte führte. Dieser Übergang war dann wieder aus westlicher und östlicher Richtung für den Lokführer durch weiße Blinksignale neben dem Gleis kenntlich gemacht. Der Lokführer hätte dann bei Bedarf noch bremsen können, wenn das Blinksignal ausblieb.

Als 1966 hinter dem Friedhof die Abzweigung von der B 67 zur Ortsumgehung im Verlauf der „Textilstraße“ Richtung Gronau gebaut wurde, musste hier auch eine Warnblinkanlage mit Halbschranken eingerichtet werden. Die Blinkanlagen an den Ortsausgängen Münsterstraße und Hardtstraße wurden auch später mit Halbschranken nachgerüstet. Allzu oft hatte es hier tödliche Unfälle gegeben.

Die Strecke passierte in westlicher Richtung eine Reihe von Nebenwegübergängen und Privatwegübergängen und kam an Haus Tenking vorbei, das bis 1916 auch einen eigenen Haltepunkt besessen hatte . Dann kreuzte die Trasse schon auf Bocholter Gebiet die Zufahrtstraße zum Stadtwaldlager. Die Bundeswehr hatte dort 1958 einen Warnblinkanlage gefordert, die auch eingerichtet wurde. In den Jahren 1960 – 1962 wurden im Lager und in den Hohenhorster Bergen Luftwaffensoldaten an Flugabwehrraketen ausgebildet, was einen regelmäßigen Militärverkehr verursachte. Die Strecke kreuzte im Bereich des Stadtwaldes noch mehrere Wohn- und innerörtliche Verbindungsstraßen, traf auf das Gleis nach Barlo und bewegt sich dann in südlicher Richtung auf den Bocholter Bahnhof zu.

Die Bahnstrecke wurde in den Jahren um 1957/1958 erneuert, u.a. baute man Betonschwellen ein, wie sie eigentlich eher für Hauptstrecken üblich waren. Dies mag mit Forderungen der NATO zusammengehangen haben, die ja auch dafür sorgte, dass die Strassen im Münsterland oft großzügiger ausfielen als anderswo. Die mächtigen Schienenbaukräne und Umbauzüge an der Industriestraße gehören noch zu den ganz frühen Kindheitserinnerungen. Von dem damals gebauten neuen Schrankenwärterhaus an der Lindenstraße war schon die Rede. Diese Maßnahme verteuerte natürlich den Streckenbetrieb.

Gleisbauarbeiten in Rhede am Bahnübergang Lindenstraße. Im Hintergrund die Gebäude der Textilfirma Büning an der Industriestraße (Foto:Michael Steffen).



Der Betrieb und die Sicherheit auf der Strecke wurden noch in hohem Maße von Hand abgewickelt. Die Fahrdienstleiter in den Bahnhöfen mussten in standardisierten Zugmeldeverfahren die Zugfahrten gegenseitig annehmen und bestätigen. Nur die Bahnhofseinfahrten waren durch Signale gesichert. Die Streckenabschnitte zwischen den Landbahnhöfen waren nicht in Blockstellen unterteilt. Im Bahnhof selber musste die Abfahrt durch den Befehlsstab des Fahrdienstleiters und den Signalpfiff freigegeben werden. Ausfahrsignale gab es im Rheder Bahnhof in meiner Erinnerung nicht. Auf dem Bahnhofsplan von 1944 sind sie aber noch eingetragen.

Zugbegegnungen waren natürlich nur in den Bahnhöfen möglich. Die waren dann in den hohen Zeiten des Schienenverkehrs bis Anfang der 60er Jahre auch die Regel. Zwischen Gescher und Coesfeld gab es bei dem kleinen Bahnhof Klye sogar einen eigenen Überholungs- und Begegnungsbahnhof, um den Betriebsablauf zu beschleunigen als die Strecke noch dichter belegt war. Der verschwand dann aber schnell mit dem Rückgang des Schienenverkehrs in den 60ern.

Zugbahnfunk gab es damals noch nicht. Der wurde auf Nebenstrecken erst nach dem schweren Eisenbahnunglück von Radevormwald 1971 beschleunigt eingeführt. Dort hatten Missverständnisse zwischen Fahrdienstleiter und Lokführer bei den vereinfachten „manuellen“ Zugabfertigungsverfahren zur Katastrophe geführt. Eine Diesellok vom Typ V 100 war dabei frontal mit dem Schienenbus einer Schülersonderfahrt kollidiert. Hätte der Fahrdienstleiter, nachdem er das Missverständnis bemerkt hatte, mit dem Lokführer in Kontakt treten können, wäre die Katastrophe ausgeblieben.

Beim Thema Sicherheit muss im Rückblick auch an die häufigen Unfälle an den Überwegen erinnert werden. Vor allem die roten Warnblinkanlagen wurden häufiger aus Unachtsamkeit oder mit Absicht ignoriert und es kam auch zu Todesfällen, die damals immer heftig diskutiert wurden und die Öffentlichkeit erschütterten. Zweiräder waren besonders oft darin verwickelt. Gräuelgeschichten von Verkehrsunfällen haben viele Gespräche in den Nachkriegsjahrzehnten bestimmt. Dies lag wohl daran, dass es noch keine Überfütterung mit Horrornachrichten aus den Medien gab und das Publikum noch nicht so „abgebrüht“ war. Sicherlich waren einige Bahnunfälle auch Selbstmorde, was aber damals als Thema noch mehr tabuisiert war.

Nach der Einstellung des Personenverkehrs 1974 blieb die ursprüngliche Infrastruktur noch einige Jahre erhalten, da ja weiterhin Güterwagen von Bocholt aus nach Rhede und Rhedebrügge übergeben wurden. Schritt für Schritt wurden dann aber doch Signale und Sicherungseinrichtungen abgebaut. Die Warnblinkanlagen wurden auf Handbedienung durch das Zugpersonal umgestellt. Die Kleinloks mit den Güterwagen mussten dann immer vor und hinter den Übergängen anhalten, um die Schranken und Blinkanlagen zu aktivieren oder den Übergang mit der Warnflagge zu sichern. So verschwand auch das Kurbelwerk zur Bedienung der Schranken an der Krechtinger Straße vom Bahnhof aus. Irgendwann waren auch die für das Stellen von Weichen und Signalen notwendigen „Hebelbäume“ mit den Gegengewichten für den Stellwerkmechanismus an den Bahnhofsgleisen nicht mehr zu sehen. Das demontierte Formsignal der östlichen Einfahrt an der Münsterstraße hat längere Zeit unbeachtet auf dem Boden gelegen. Wegen fehlender Präsenz vor Ort fehlen mir hier allerdings die genauen Daten zum Rückbau der Infrastruktur.

Mit dieser reduzierten Infrastruktur konnte der bescheidene Güterverkehr mit Übergabefahrten immerhin offiziell noch bis 1991 aufrechterhalten werden, obwohl mir nicht klar ist, inwieweit um 1990 noch davon Gebrauch gemacht wurde. Immer beliebter wurden auch die Ausflugs- und Museumsfahrten an Wochenenden, die von einem Eisenbahnverein von Bocholt aus in Richtung Rhedebrügge unternommen wurden. Die Strecke blieb nach dem endgültigen Betriebsende ab Juni 1991 noch einige Jahre brach liegen und wurde dann 1996 mit Abrissbaggern aufgenommen (siehe Bahn Regional, Heft 53, S. 14).

Der Bahnverlauf ist bis heute im Stadtbild erhalten geblieben, weil die DB-AG die Grundstücke wegen des o.g. Trassensicherungsabkommens nicht veräußern durfte. Reste von Gleisen findet man als Spuren im Asphalt der Bahnübergänge. Der Bahndamm wird zum Teil überwuchert oder im Ort als Spielplatz und für andere häusliche Zwecke der Anlieger genutzt. Am Bahnhof hat man auf Kosten des alten Gleisgeländes den Krommerter Weg erweitert und die abzweigende Rudolf-Diesel-Straße errichtet. Die Verlegung eines neuen Gleises zwischen Bocholt und Borken wäre aber noch möglich.

Es wurde wiederholt diskutiert, die von Bocholt bestehende Bahnverbindung zur Rheinschiene wieder nach Rhede zu verlängern. Das Wachstum von Rhede als beliebter Wohngemeinde mit starkem Pendleranteil spräche für diese Lösung, die aber angesichts der desolaten öffentlichen Haushalte wohl nicht mehr realistisch ist. Man mag darüber spekulieren, ob die Verbindung nach Münster vielleicht Bestand gehabt hätte, wenn sie noch in die Wiederbelebung des öffentlichen Nahverkehrs“ in den 80ern hinüber gerettet worden wäre. Eine durchgehende Schienenverbindung von Bocholt nach Münster käme heute schon wegen der Umnutzungen der Trasse im Bereich zwischen Borken und Gescher nicht mehr in Frage.

Dieses Foto aus dem Frühjahr 1981 zeigt die noch intakte Trasse östlich von Rhede im Bereich des "Prinzenbusches". Der Blick geht in Fahrtrichtung Rhedebrügge-Borken.


















3. Der Betrieb am Bahnhof.

Das folgende Kapitel versucht ein Bild des Lebens auf dem Bahnhof wiederzugeben, wie ich es vorwiegend während meiner Volksschulzeit 1960-64 wahrgenommen habe. Damals gab es noch einmal eine letzte Blütezeit des Schienenverkehrs.


Das denkmalgeschützte Gebäude des Rheder Bahnhofs wurde nach dem Brand des ersten Bahnhofbaus 1927 errichtet und dient heute als Begegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt. Die hier gezeigten Fotos zeigen die Gebäude aus der Zeit nach der Einstellung des Schienenverkehrs.

Zur Anschauung hilft auch der Lageplan mit der gesamten Anlage aus dem Jahre 1944 (s.u.). So kenne ich den Bahnhof und Gleisverlauf auch noch aus den 60er Jahren. Der Komplex bestand aus dem Hauptgebäude und dem Güterabfertigungsschuppen. Der Bahnhofsvorplatz und die nach Osten führende Ladestraße waren mit Kopfsteinpflaster befestigt. Neben dem Bahnhof stand und steht immer noch ein Dienstwohnungsgebäude, das auch noch das weiße Ortsnamensschild trägt. Im östlichen Bereich lagen die Ladegleise mit einer Verladerampe und einem kleinen Lokschuppen. An den im Plan von 1944 noch verzeichneten Ladekran habe ich keine Erinnerung mehr. Wenn man vom Bahnhofsplatz aus auf das Gebäude blickte, lag rechts im Anbau die Bahnhofsgaststätte mit einem Schankraum und einem abgetrennten Wartesaal, dessen Fenster auf die Gleise schauen ließen.

Man betrat die Schalterhalle durch eine Doppelflügeltür. Nach rechts gab es den Durchgang zur Bahnhofsgaststätte, die allerdings auch einen eigenen Außeneingang besaß. Die Wände waren im Eingang halbhoch grün gekachelt. Wenn man sich nach links wendete, ging man auf die beiden Schalterfenster zu, die durch eine niedrige gekachelte Mauer abgetrennt waren. Die Fenster und diese Trennmauer sind auch erhalten geblieben. Links an den Fenstern zum Bahnhofsvorplatz war eine Bankreihe für Wartende. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich die Durchreiche für die Gepäckabfertigung. Dahinter lagen die Diensträume. Im Dienstraum des Schalterbeamten stand ein Fahrkartenautomat, mit dem er die benötigten Pappfahrkarten je nach Zielort drucken konnte. Den Bereich der Diensträume habe ich natürlich nie betreten.

Ging man durch den Eingangsbereich geradeaus, kam man durch den Ausgang bzw. Eingang zu den Bahnsteigen. Dort gab es auch noch eine Art Sperre für die Fahrkartenkontrolle. Der Durchgang verfügte über zwei Türen, so dass der ausgehende und ankommende Fahrgastverkehr getrennt werden konnten. Trat man aus dem Bahnhof heraus, musste man das Gleis zum Güterschuppen überqueren, bevor man ebenerdig über die Durchfahrtsgleise hinweg die beiden Bahnsteige erreichte. Eine Unterführung existierte nicht. Es kam vor, dass die Reisenden unmittelbar vor den Puffern einer am Güterschuppen wartenden unter Dampf stehenden abfahrbereiten Güterzuglok den Eingang passierten. Jedenfalls war das so, als wir 1960 Onkel und Tante aus der „DDR“ zum Zug verabschiedeten.

Von der Bahnsteigseite aus betrachtet, befand sich rechts vom Ausgang der Fahrdienstleiterraum mit der Gepäckabfertigung, daneben war in einem Vorbau das kleine mechanischen Stellwerk für die Signale und Weichen untergebracht. Links vom Ausgang standen die beiden Kurbeln mit denen die Schranken an der Krechtinger Straße von Hand betätigt wurden.

Dieser Lageplan von 1944 aus dem Stadtarchiv trifft auch für den Berichtszeitraum noch zu.


Die zwei Bahnsteige konnten drei Züge gleichzeitig aufnehmen. Die Begegnung von Zügen aus Bocholt und Borken in Rhede war damals die Regel. Das südliche Gleis wurde oft von wartenden Güterzugloks und für Rangierfahrten benutzt. Überholungen wartender durch durchfahrende Züge habe ich nicht beobachtet. Es gab aber Anfang der 50er Jahre einzelne Eilzüge, die nicht in Rhede hielten.

Entlang des südlichen Gleises lagen auch die Seilzuganlagen für die Bedienung der Signale und Weichen in den Hauptfahrstraßen mit den typischen Hebelbäumen, die die Gegengewichte aufnahmen und die Seilzüge unter Spannung setzten. Im Bereich der Verladegleise gab es aber auch etliche Handweichen, die vor Ort bedient wurden.

Der Güterabfertigungsschuppen war zur Gleis- und zur Straßenseite mit einer Verladerampe umgeben, damit die Stückgüter direkt von Straßenfahrzeugen oder –fuhrwerken in den Schuppen und von dort in die Waggons und umgekehrt bewegt werden konnten.

Im östlichen Bereich gab es parallel zur Ladestraße ein Abstellgleis, das von den Güterkunden zum Umschlag größerer Transportvolumen genutzt werden konnte. Damals war die Bahn noch der Hauptträger des Güterverkehrs.

Die fünf großen Textilfirmen des Ortes und zahlreiche kleinere Betriebe mussten ihre Vor- und Fertigprodukte umschlagen. Kohle für die Kesselhäuser musste ebenso per Bahn geliefert werden wie Maschinen.

Ein wichtiger Kunde war natürlich die Landwirtschaft (Düngemittel, Getreide). Später hat dann ja auch der örtliche Landhandel ein Gebäude im Bereich der alten Ladestraße errichtet. Am Nordrand des Gütergeländes bei der ehemaligen Gartenwirtschaft Tidden wurden samstags immer Vieh verladen. Entsprechend laut war das Gequieke. In dem Bereich befand sich auch der Kleinlokschuppen für den „kleinen Josef“, der zum Verschub der Güterwagen erforderlich war, und die Verladerampe, mit der man zum Beispiel größere Wagenladungen auf die Waggons fahren konnte. Dort stand auch noch das Metallgestell über den Gleisen, dass die Einhaltung der Lademaße kontrollierte. Im Jahre 1976 wurde diese Rampe noch genutzt, als Panzer für eine Bundeswehrausstellung in Bocholt hier auf die Schiene verlastet werden mussten. Das Militär nutzte im Winter 1971 auch das nördliche Gleis zur Abstellung eines NATO-Befehlszuges.

Dieses Gütergleis nördlich der Ladestraße, das in einem Prellbock endete, wurde vor allem für die Holzverladung genutzt. Das Holz wurde von dem Fuhrunternehmer Siebelt mit Pferdefuhrwerken aus den Wäldern angefahren, dort gelagert, transportfertig gemacht und teilweise noch von Hand auf die Waggons verladen. Ich kann mich erinnern, dass der Großvater dabei noch mit Hand anlegte und der zu beladende Waggon von den Männern mit Körperkraft immer weiter zum nächsten Ladepunkt verschoben wurde. Heutige Sicherheitsexperten würden sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Die Lade- und Abstellgleise waren aus östlicher Richtung über etliche Weichenverzweigungen zu erreichen. Wurde beim Anliefern der Güterwagen aus Richtung Bocholt über die Krechtinger Straße hinweg rangiert, so musste der bahnhofsinterne Verschub im Osten oft die Münsterstraße überqueren. In westlicher und östlicher Richtung signalisierte das halbrunde Schild „Ende der Rangierfahrten“ ab wo die offene Strecke für diese Fahrten gesperrt war.

An ein besonderes Ladegut sei auch noch erinnert. Im ehemaligen Krechtinger Schloss gab es eine Tierhandlung, die Zoos mit Großtieren belieferte. Diese Tiere wurden in speziellen Kisten angeliefert. Einmal kam es aber auch vor, dass mehrere Kamele am Bahnhof entladen wurden und an unserer Haustür vorbei über die Landstraße wie eine Karawane nach Krechting getrieben wurden! Wie gesagt, das war alles in den frühen 60er Jahren.

Für den Transfer der Güter stand viele Jahre der Bahnspediteur Wessels zur Verfügung, wenn Selbstabholung nicht möglich war. 1966 gab es einen Schriftwechsel mit den Kommunen über die Einstellung der Güterbedienung in Rhede. Der Spediteur Wessels bot an, die Güterbedienung per LKW zum Bahnhof Bocholt sicherzustellen.

Die DB schlug auch vor, ganze Güterwagen auf Straßenrollern über die B 67 von Bocholt aus zu den Güterkunden in Rhede zu befördern. Diesen Service mit den sogenannten Culemeyer-Rollern und Kaelble-Zugmaschinen praktizierte die Bahn in Bocholt, um die Firmen ohne Gleisanschluss ans Netz anzuschließen.

Q.:WDR

Diese Lösung wurde aber unter Hinweis auf den damals schon dichten Verkehr auf der B 67 von der Amtsverwaltung Rhede abgelehnt. Die Bundesstraße zwischen Bocholt und Rhede war zu der Zeit noch durch Baumreihen gesäumt und wurde erst gegen Ende des Jahrzehnts verbreitert.

So sah es am alten Bahnhof im Sommer 2006 aus. Die Schienen sind verschwunden. Der Güterschuppen steht noch. Der verbreiterte Krommerter Weg im Vordergund liegt zum Teil auf dem alten Gleisareal. Rechts steht noch vollständig der Güterschuppen mit der umlaufenden Laderampe.

So ist der Bahnhof im Sommer 2006 von der ehemaligen Gleisseite zu betrachten. In der Mitte die beiden Aus/Eingänge der Schalterhalle. Rechts daneben der Fahrdienstleiterraum und der Vorbau, in dem sich das kleine Stellwerk befand. Die Schrankenkurbeln standen direkt links neben dem Ausgang. Die drei Fenster gehören zum ehemaligen Wartesaal der Bahnhofsgaststätte, die sich in dem Anbau links befand.

Das linke Foto zeigt die von der Arbeiterwohlfahrt zur Begegnungsstätte umgebaute Schalterhalle. Meist war der rechte Schalter in Betrieb. Zwischen den Schalterfenstern hing ein Fahrplan. Die dunkelbraun halbhoch gekachelten Wände und die ebenfalls gekachelte Trennungsmauer zwischen den Schaltern hat man bei der Neugestaltung erhalten. Rechts (nicht im Bild) gab es die Durchreiche zur Gepäckabfertigung, an der linken Fensterseite eine Wartebank.

Der Wartesaal der Gaststätte mit den drei Fenstern zur Bahnsteigseite bietet heute ein angenehmes Ambiente für Begegnungen im Rahmen der Sozialarbeit. In diesem Saal habe ich öfter an Sonntagen mit meinen Eltern gesessen und Fernsehen geguckt. Ich erinnere mich noch gut, dass da irgendwann so um 1958/59 „Die Mädels vom Immenhof“ lief. Gleichzeitig konnte man immer auch mal auf die Bahnsteige schauen und verfolgen, was sich da tat. Sogar Sonntags wurden noch Güter geliefert.

Aus einer Kiste schaute einmal der Kopf eines Zootieres raus, das für den Krechtinger „Zoo“ bestimmt war. In der Bahnhofsgaststätte war damals natürlich noch mehr Leben als in den meisten Kneipen heute so üblich. Viele Berufstätige trafen sich hier nach der Arbeit noch auf ein Bier. Die Fernsehgeräte hatten gerade erst ihren Siegeszug in die Wohnzimmer angetreten. Getränkemärkte waren noch unbekannt und so verkaufte der Wirt auch schon mal ein paar Flaschen Bier an Kunden außer Haus. Die Gaststätte am Bahnhof hat auch noch nach der Bahnhofsschließung längere Zeit fortbestanden.

Im Personenverkehr verkehrten bis 1974 einfache Nahverkehrszüge, die an jedem Bahnhof hielten, und Eilzüge, die zur Beschleunigung des Verkehrs an kleineren Stationen auch durchfuhren. Anfang der 50er Jahre hielten nicht alle Eilzüge in Rhede, worüber sich die Gemeinde mit Hinweis auf die Bedeutung des Industrieortes beschwerte. Es gab zeitweise auch Züge, die von Münster bis Wesel durchliefen. Ein häufiges Streitthema im Schriftverkehr zwischen Bahn und Amtsverwaltung Rhede war die Gestaltung des Fahrplans im Berufs- und Schülerverkehr nach Bocholt und Borken und die Verbesserung der Anschlüsse an den Fernverkehr in Wesel und Wanne-Eickel.

Mitte der 60er Jahre beschleunigte sich die Ausdünnung des Nahverkehrsangebots, obwohl auch dann der Bahnhof für den Betrieb besetzt bleiben musste, da die Möglichkeiten der Automatisierung des Fahrbetriebs nicht gegeben waren. Auch die Fahrkartenausgabe war bis 1974 während der Betriebszeiten besetzt. Sie verkaufte natürlich auch Fahrausweise für den Busverkehr. Über die Personalbesetzung des Bahnhofs wären ergänzende Hinweise sehr hilfreich.

Wann genau nach der Einstellung des Personenverkehrs 1974 auch das Personal für die Güterabfertigung abgezogen war, entzieht sich meiner Kenntnis. Mit dem Umbau der Übergänge auf manuelle Bedienung durch die Lokpersonale war auch kein technisches Bahnhofspersonal mehr erforderlich. Die Betriebsführung verlief nach vereinfachten Verfahren, wobei das Streckengleis von Bocholt nach Rhede/Rhedebrügge bei einer Sperrfahrt nur von einem Fahrzeug benutzt werden konnte.

Die „Geschichte der Stadt Rhede“ aus dem Jahre 2000 berichtet auf S. 879ff , dass die Spedition Wessels schon im Jahre 1970 die Stückgutzustellung vom Rheder Bahnhof zu den Kunden einstellte und dass 1987 auch der Wagenladungsverkehr zum Rheder Bahnhof endete. Ich meine aber, dass die Spedition in den 70er Jahre auch noch am Bahnhof präsent war und in den 80er Jahren auch noch Stückgüter von Rheder Firmen verschickt hat. Dies mag aber nicht mehr mit der Bahn in Zusammenhang gestanden haben. Es wäre auch zu klären, ob zwischen 1987 und der offiziellen Einstellung des Betriebes auf der Strecke 1991 überhaupt noch irgendwelche Güterwagen auf der Strecke zugestellt wurden.

Im Fahrplan 1964/65 verkehrten im Gesamtabschnitt Münster – Isselburg 16 Zugpaare, davon 10 zwischen Bocholt und Münster und 2 zwischen Isselburg und Bocholt.

Der letzte Personenfahrplan vom 30.9.73-25.5.74 sah auf der Gesamtstrecke Isselburg-Bocholt noch 10 Zugpaare vor, davon fünf zwischen COE und BOH und für Isselburg-BOH noch ein Zugpaar. Bei der letzten Verbindung handelte es sich um ein „Alibi“-Zugpaar, das die Bahn als minimales Verkehrsangebot aufrechterhalten musste, wenn sie die beabsichtigte Stillegung einer Strecke noch nicht hatte durchsetzen können. Zwischen Coesfeld und Isselburg herrschte seit 1966 Feiertags- ruhe. Die Bezeichnung „E“ ( Eilzug) hatte nur eine geringe praktische Bedeutung, da es hinsichtlich des Zugmaterials ( Baureihe 515) und Höchstgeschwindigkeiten (Coesfeld-Münster 80, Coesfeld-Bocholt 60) keine Unterschiede zwischen den Zugarten gab. Der letzte Fahrplan von 1973/74 wurde dem Heft „Bahn Regional“ Nr. 3-85 entnommen:

Für den Restschienenverkehr 1974 bis 1991 mag dieser dem Bundesbahn Lexikon 1987 (Seite 75) entnommene wöchentliche Fahrplan für die werktäglichen Übergabezüge mit den Kleindieselloks der Baureihe 333 als Beispiel dienen. Die Übergaben verkehrten aber nur bei Bedarf:

67043 Bocholt 7.12.-7.36 Rhedebrügge 7.53–8.19 Bocholt (Sa mit 333)

67045 Bocholt 10.01– 10.48 Rhedebrügge 11.01–11.57 Bocholt (mit 333)

Der Niedergang der Textilindustrie und die Entwicklung des Straßengüterverkehrs ließen auch den Güterverkehr kontinuierlich sinken, zumal die DB insgesamt auch kein Interesse an der flächendeckenden Bedienung mehr zeigte.

Zu diesem Zeitpunkt war der Bahnhof wohl noch in Betrieb: Ankunft eines Sonderzuges mit den Westfälischen Nachtigallen. Im Hintergrund der Bauhof des Bauunternehmens Hüls und das Autohaus Heuser (Fotos: Michael Steffen)




Weitere Bildinformationen zum Bahnhof und zum Ort mit vielen alten Ansichtskarten finden sich unter:
www.ansichtskarten-rhede.de

4. Das rollende Material

Das Interesse am Eisenbahnbetrieb richtet sich natürlich vor allem auf die Fahrzeuge. Deshalb soll das rollende Material hier vorgestellt werden, soweit es in und um Rhede im Einsatz war. Allerdings zeigen nicht alle Fotos Motive aus unserer Region.

Die Dampftenderloks Baureihe 78

Bis 1965 gehörten die Tenderloks der Baureihe 78 zum alltäglichen Bild im Bahnhof Rhede.


Hier präsentierte sich 78-468 als Museumslok bei den Sonderfahrten zum 100-jährigen Bestehen der Baumbergebahn im Bahnhof Billerbeck am 1.Mai 2008.


Bei der Ausfahrt Richtung Havixbeck zeigte die Tenderlok auch über vier Jahrzehnte nach dem Ende ihres Einsatzes auf dieser Strecke noch was in ihr steckte.

Diese Maschinen waren noch in der Kaiserzeit konstruiert und seit 1912 produziert worden. Die Produktion und Nutzung wurden in der Weimarer Republik von der neu gegründeten Reichsbahngesellschaft fortgeführt Die Maschine leistete 1100 PS und konnte vorwärts und rückwärts 100 km/h erreichen. Der Begriff Tenderlok bedarf einer Erklärung. Normalerweise führten die Streckendampfloks ihre Kohle- und Wasservorräte in einem angehängten Tender mit. Diese Schlepptenderloks hatten den Nachteil einer geringeren Rückwärtsgeschwindigkeit und mussten deshalb immer auf Drehscheiben gewendet werden, wenn sich die Fahrtrichtung änderte. Für Züge geringerer Leistung- und Reichweite und für den Rangierbetrieb konstruierte man deshalb Loks, die ihre Wasser- und Kohlevorräte in einem Tender auf der Lok unterbringen konnten. Das war vor allem für den Nahverkehr nützlich, wenn die Loks bei der Rückfahrt ans andere Ende des Zuges gekuppelt werden mussten und das Drehen mangels Drehscheibe oder aus Zeitgründen nicht möglich war. Wenn die Personenzüge aus Münster oder Coesfeld in Bocholt ankamen, wurden sie vom Zug abgekoppelt und fuhren dann auf dem Nebengleis ans andere Ende des Zuges, um die Rückfahrt mit gleicher Geschwindigkeit Richtung Münster antreten zu können. Anfang der 60er Jahre war in Bocholt auch noch eine Drehscheibe vorhanden.

Die Baureihe 78 war eine sehr leistungsfähige Maschine und nicht nur auf Nebenstrecken zu Hause. In den Ballungsgebieten beförderte sie auch viele Nahverkehrszüge auf Hauptstrecken. Die 78er des Betriebswerks Wesel waren zum Beispiel auf der „Hollandlinie“ von Oberhausen nach Emmerich zur Beförderung der Personenzüge eingesetzt und durften auf dieser dicht belegten Strecke natürlich nicht im Nebenbahntempo fahren. Auf der Verbindung Münster –Bocholt beförderte sie meist vier bis fünf dreiachsige Personenzugwagen, die in den Jahren vor der „Autowelle“ immer noch gut besetzt waren. Der wirtschaftliche Aufwand für den Dampfzugbetrieb war natürlich hoch: zwei Mann Personal im Führerstand, die andauernde Feuerunterhaltung und Versorgung/Entsorgung in den Standzeiten, hoher Energieeinsatz für große Zug- und Lokgewichte bei niedrigen Wirkungsgraden des Dampfantriebes. So lange keine neuen Fahrzeuge zur Verfügung standen, blieben diese bewährten Fahrzeuge im Einsatz. Die letzten 78er wurden erst 1974 in Rottweil abgestellt. In Rhede waren sie seit 1965/66 nicht mehr zu sehen.

Die Loks im Münsterland waren dem Betriebswerk Gronau zugeordnet, wurden aber auch von den Betriebswerken Münster und Coesfeld eingesetzt. Wenn man sich in Münster dem Gleis 1/101 aus Richtung Coesfeld näherte, konnte man um 1965 noch die abgestellten Tenderloks vor dem Lokschuppen bewundern.

Die Loks besaßen übrigens auch ein Läutewerk, das auf den Nebenstrecken im Dauerbetrieb war und das häufige Pfeifen an den ungesicherten Übergängen überflüssig machen sollten. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass auf der Rheder Strecke dieser „Bimmelbahn“-Betrieb auch praktiziert wurde. Ich habe das häufige Pfeifen der Loks noch im Ohr. Es kann aber sein, dass das nur an einigen ausgewählten Übergängen geschah und zusätzlich geläutet werden musste.

Die P 8 (Baureihe 38)

An den Einsatz dieses damals sehr verbreiteten Lokomotivtyps, die Personenzuglok der Baureihe 38 (die sogenannte P8), habe ich keine Erinnerungen Der Bocholter Eisenbahnfotograf Hans Bones berichtet von einem letzten P8-Einsatz von Münster nach Bocholt 1962 und eine Hilfszugfahrt in Bocholt 1965 (Bahn Regional, Nr. 49, 1-1995). Möglicherweise waren die durchgehenden Eilzüge der frühen 50er Jahre, die nicht in Rhede hielten und zum Teil bis Wesel durchfuhren, mit diesen Maschinen bespannt. Die im Betriebswerk Gronau beheimateten P 8 kamen auch vor dem Grenzlandexpress Gronau – Borken – Wanne-Eickel- Düsseldorf - Mönchengladbach zum Einsatz.


Die „Umbaudreiachser“:

Als Zugreisender saß man in den Dampfzügen auf den roten Plastiksitzen der sogenannten „Umbaudreiachser“. Die Bundesbahn nutzte angesichts ihrer begrenzten Mittel die dreiachsigen Gestelle alter preußischer Abteilwagen und setzte darauf neue Aufbauten. Ca. 6000 Exemplare dieser Personenwagengattung blieben bis weit über die Dampflokzeit hinaus in Betrieb. Die letzten Exemplare wurden erst 1984 außer Dienst gestellt. Sogar noch bei den sonntäglichen Rückfahrten „zum Bund“ 1972/73 startete man abends um 19.00 h in Coesfeld mit einem aus diesen Dreiachsern und einer V 100-Diesellok gebildeten Personenzug in Richtung Münster. An den Abteilwänden warben immer noch die alten Reklameschilder mit dem Spruch „Oh Schreck, der Zug ist weg, darauf Klarer mit Speck“ für eine bestimmte Spirituose, die ich noch nie in einem Laden gesehen hatte. An den Einstiegen musste man im Winter durch weiße Dampfschwaden aus den Heizleitungen in den Zug klettern. Die wurden von einem Heizkessel gespeist, die bei den Dieselloks V 100 und V 200 noch vorhanden waren. Wenn die Lok auf dem geraden zweigleisigen Streckenabschnitt von Coesfeld bis zur Teilung der Strecken nach Rheine bzw. Münster bei dem Landbahnhof Lutum auf Tempo 80 aufdrehte, stieg der Geräuschpegel der Dreiachser kräftig an. In den Kurven der Baumbergebahn zwischen Billerbeck und Havixbeck kreischten die Radreifen und wenn dann hinter Havixbeck die gerade und flache Strecke Richtung Roxel erreicht wurde, meinte man fast zu fliegen, wenn das Zuggespann am aufgelassenen Bahnhof Tilbeck vorbeirauschte. Überall schaukelte, ratterte und vibrierte es, obwohl die Tachonadel im Führerstand bei 80 stehen bleiben musste.

Die Vorkriegstriebwagen VT 60 und VT 33

Parallel zu den Dampftenderloks verkehrten immer auch schon Dieseltriebwagen auf der Strecke. Sie gehörten auch noch zu den „Vorkriegsbaureihen“ VT 33 und VT 60, die dann von der Bundesbahn weiter betrieben wurden. Bei diesen Fahrzeugen sind mir noch die bequemen Abteilsitze in Erinnerung. Diese Triebwagen waren nämlich, wie Schnellzugwagen auch, in Abteile mit sechs Sitzplätzen aufgeteilt.

Die Fahrzeuge im Münsterland gehörte m. W. zum Betriebswerk Rheine, wo die letzten Exemplare bis 1970/1 in Dienst gehalten wurden. In Rhede sah man sie seit 1967 kaum noch. Einer dieser Triebwagen war Anfang der 60er Jahre in Borken mal mit einem LKW kollidiert, so dass die Strecke gesperrt werden musste. Mir ist auch noch eine Fahrt von Bocholt nach Rhede in Erinnerung, wo eines dieser Fahrzeuge wegen einiger Kühe auf den Gleisen bei Haus Tenking außer Plan halten musste.

Dieses Foto aus dem Jahr 1966 zeigt einen Altbautriebwagen, der den Bahnhof von Bocholt Richtung Rhede verläßt.

Der Schienenbus VT 95 und VT 98

Das Nebenstreckenfahrzeug der Bundesbahn schlechthin waren die berühmten Schienenbusse der Baureihen VT 95 und VT 98 , später wiederholt umbenannt in Baureihe 795/ 797 bzw. 995/998. Diese Fahrzeuge waren ab 1950 in Leichtbauweise unter Einbeziehung von Konstruktionselementen aus dem Straßenfahrzeugbau hergestellt worden. So besaßen sie z.B. ein herkömmliches Schaltgetriebe, dessen Gangwechsel man hören konnte. Es gab eine einmotorige Version mit 150 PS (VT 95)und eine zweimotorige mit zusammen 300 PS (VT 98). Das Betriebswerk Osnabrück setzte die einmotorige Version ein, da es sich hier weitgehend um Flachlandstrecken handelte. Meist führte der Triebwagen noch einen Anhänger mit sich, oft wurden auch zwei dieser Doppeleinheiten gekoppelt. Das war zum Beispiel oft an Kirmestagen der Fall, wenn die Besucher zwischen Bocholt und Rhede im Pendelverkehr befördert wurden. Überhaupt schien der Schienenbus vor allem an Sonntagen gefahren zu sein. Diese Erinnerung könnte zutreffen, da man an diesen Tagen die Dampfloks oft abstellte, um bei der Feuerunterhaltung sparen zu können. Bis zur Krechtinger Straße dröhnten die Dieselmotoren, wenn die Schienenbusse entlang der Industriestraße Richtung Bocholt beschleunigten. 1966 wurden diese wirtschaftlichen Fahrzeuge aus dem Münsterland abgezogen

Im Fahrplan 1960 gab es folgende Schienenbusverbindungen:

E 681 s Bocholt 8.10 - Münster 10.11 als Eilzüge nur zwischen Coesfeld

E 682 w Münster 12.52 - Bocholt 14.49 und Münster

E 683 Sa Isselburg 13.52 - Münster 16.14 (Quelle: Bahn Regional Nr. 50, 2-95)

E 4684 s Münster 19.03 - Bocholt 21.35

E 685 w Bocholt 18.40 - Münster 21.07




Die Baureihe 50:

Güterwagen wurden bis Mitte der 60er Jahre von der weit verbreiteten Güterzuglok der Baureihe 50 zugestellt. Die 50er waren in einem Neubauprogramm der Reichsbahn in über 3000 Einheiten bis 1943 produziert worden. Im Kriege gab es noch eine in über 6000 Einheiten hergestellte „Sparversion“, die Kriegsloks der Reihe 52, welche die DB aber zügig ausmustert.

Loks der Reihe 50 waren bis 1977 bei der DB in nahezu allen Rollen im Einsatz. Wegen ihres für Streckengüterzugloks geringen Gewichts von „nur“ 140 Tonnen (incl. Wasser und Kohle) konnten sie auch Nebenstrecken befahren. Mit Tempo 80 konnte sie auch Personenzüge befördern, wobei sie für die Rückwärtsfahrt auch keinen Beschränkungen unterlag. Ihre 1630 PS reichten zur Beförderung von längeren Güterzügen in der Ebene aus, dabei galt sie als sparsam und wegen ihrer nur zwei Zylinder als auch relativ wartungsfreundlich.

Wenn man in den 60er Jahren auch von „ollen“ Dampfloks sprach, sollte man nicht vergessen, dass die 50er zu diesem Zeitpunkt nur ca. 20 Jahre alt waren. Bei der DB AG sind heute etliche E-Loks im Einsatz, die 40 Jahre alt sind!

Etliche 50er waren zu Kabinentenderloks umgebaut worde, d.h. man hatte in den Schlepptender eine kleine Kabine für Zugbegleitpersonal integriert, wo sich Zugführer und Rangierer während der Mitfahrt aufhalten konnten, da der Führerstand dafür tabu war.

Die 50er vom Betriebswerk Oberhausen- Osterfeld brachten täglich aus Richtung Bocholt eine lange Schlange von Güterwagen nach Rhede, die dann von der gleichen Lok auf die entsprechenden Gütergleise rangiert wurde. Dabei blieben die Schranken an der Krechtinger Straße geschlossen und der Heimweg von der Schule konnte länger dauern. Auf den Trittbrettern des letzten Waggons stand dann ein Rangierer und signalisierte mit kreisenden Armbewegungen der Besatzung der am anderen Ende schiebenden Lok, wie sie fahren sollte. Abends gegen sieben stand immer einer 50er auf dem Nebengleis neben den Bahnsteigen an der Straße und wartete auf Weiterfahrt Richtung Rhedebrügge oder Borken, um Wagen zuzustellen oder abzuholen. Dieser Güterbetrieb lief Anfang der 60er Jahre auch noch an Feiertagen.

Bahnhofsdurchfahrten von Durchgangsgüterzügen, die die Strecke nutzten, um entferntere Fahrziele zu erreichen, sind mir weniger in Erinnerung. 1956/57 soll es ein durchgehendes Nahgüterzugpaar von Coesfeld über Bocholt nach Empel gegeben haben (Bahn Regional 58) Bevor die Elektrifizierung den Durchgangsgüterverkehr auf die Haupttrassen abzog, machte die Bundesbahn häufiger von der Möglichkeit Gebrauch, mit Dampf oder Diesel bespannte Güterzüge mit längeren Laufwegen über Nebenstrecken zu leiten, um die Hauptstrecken zu entlasten. Um 1970 gab es mal solch eine Umleitungsfahrt zu beobachten als ein langer Dampfgüterzug nachmittags aus Richtung Borken mit weißer Rauchfahne und Pfiffen heranrauschte und durch den Rheder Bahnhof donnerte. Dampfbespannte Güterzugumleitungen aus Richtung Rheine oder Osnabrück Richtung Ruhrgebiet sah man häufiger in Coesfeld. In Rhede dampfte es aber seit 1966 kaum noch.

Eine Dampflok der Baureihe 50 auf der Drehscheibe des Eisenbahnmuseums Dahlhausen.


Die V 100

Die in den 50er Jahren als kleinere Schwester der V 200 entwickelte V 100 (später 210,211,212) wurde zum eigentlichen „Killer“ der jahrzehntelang bewährten Dampfloks aus „preußischer“ Zeit, die das Bild der Nebenbahnen bestimmt hatten. Die o.g. Baureihen 78 und 38 wurden im Laufe der 60er Jahre sehr schnell von der V 100 verdrängt.

Diese Maschine hatte einen 1100 PS- später 1350 PS-Motor, der schon bei der V 200 verwendet wurde. Sie besaß nur einen Führerstand in der Mitte und war für Personen- und Güterzüge gleichermaßen zu verwenden. Im Münsterland waren diese Maschinen erprobt worden und von 1966 bis 1969 sah man sie häufiger auch vor Personenzügen im Rheder Bahnhof. Oft beförderten sie dann keine „Umbaudreiachser“ mehr, sondern die modernen Drehgestellwaggons der Nachkriegszeit.

Als „Güterwagensammler“ konnte man sie bis Mitte der 70er Jahre jeden Abend auf dem südlichen Bahnhofsgleis sehen, weil sie den Triebwagen um 18.26 h abwarten musste, um in Richtung Rhedebrügge weiterfahren zu können. Auch nach dem Ende des Personenbetriebs 1974 war sie mit ihrem Hupton in dieser Rolle noch länger zu vernehmen. In den 90er Jahre kam die V 100 in unserer Region noch mal verstärkt zum Zuge, da die geplanten Triebwagenneubeschaffungen sich verzögerten. So traf man sie in den 90er Jahren noch auf einigen Strecken des Münsterlandes vor Personenzügen an, bevor sie dann doch durch neue Triebwagen und den Rückzug der Bahn aus dem Güterverkehr in der Fläche überflüssig wurden. In Coesfeld endete der V-100-Einsatz Ende 1994. Man sieht diese zuverlässigen Maschinen aber noch häufig als „Second-Hand“-Loks der privaten Schienenverkehrsunternehmen, meist im Bauzugdienst.

V 100 im Museum Dahlhausen und als Bauzuglok in Dülmen

Der VT 64

Um 1967 tauchten neue Dieseltriebwagen unter der damaligen Bezeichnung VT 24, ab 1968 Baureihe 624, auf unserer Heimatstrecke auf. Das waren Neubaufahrzeuge und sie liefen hier zur Erprobung. Mit ihren 2 x 450 PS, einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h und über 200 Sitzplätzen in drei Fahrzeuggliedern waren sie für den bescheidenen Verkehr zwischen Bocholt und Coesfeld sicher zu groß. Sie wurden dann später auch auf stärker frequentierten Haupt- und Nebenstrecken bis ca. 2002/3 eingesetzt. Dann wurden sie wegen der Verlagerung des Bahnverkehrs auf „private“ Schienenverkehrsunternehmen mit neuen Fahrzeugen überflüssig. Einige Fahrzeuge wurden ins brandenburgische Cottbus abgezogen und/oder nach Polen verkauft. In den 80er und 90er Jahren waren die Triebwagen der Reihe 624 das Standardfahrzeug im Regionalverkehr Nordwestdeutschlands.
Ein 624er passiert im Sommer 1984 auf dem Weg von Rheine nach Coesfeld den Bahnhof Lutum. Wenige Wochen später wurde der Personenverkehr Rheine-Coesfeld eingestellt.


Die „Akku“-Triebwagen

Ende der 60er Jahre eroberte ein neuer, allerdings sehr unscheinbarer Fahrzeugtyp die münsterländischen Schienenstränge. Aus den Betriebswerken Recklinghausen (bis 1970) und Rheine (ab 1970) brummten die Akkumulatortriebwagen der Reihe ETA 150, seit 1968 Baureihe 515, über unsere Gleise. Diese Elektrotriebfahrzeuge mit ihren 200 kw Leistung bezogen den Strom für ihre zwei Fahrmotoren aus Akkumulatoren, die ihnen eine Reichweite von 300 – 500 km verliehen.

Das Brummen der Motoren war bei der Abfahrt sehr markant. Der Führerstand des Fahrzeugführers war vom Fahrgastraum einzusehen. Die Fahrarmaturen befanden sich in einer Art „Brotschrank“. Nachts wurden die Fahrzeuge in den Betriebswerken oder Bahnhöfen mit billigem Bahnnachtstrom geladen. Wenn man um 1973 abends im Knotenpunkt Coesfeld die Anschlüsse abwarten musste, rollten aus allen Richtungen diese roten „Steckdosen-Intercitys“ heran. Die in den letzten Betriebsjahren zwischen Bocholt und Coesfeld verbleibenden fünf Zugpaare des Personenverkehrs wurden nur noch mit diesen Fahrzeugen abgewickelt. In der Regel bestand eine Fahrzeugeinheit aus einem Triebwagen und einem Steuerwagen als Anhänger ohne eigenen Antrieb. In verkehrsschwachen Zeiten waren aber auch Einzelfahrzeuge häufig zu sehen. Sie boten 64 Reisenden Platz.

Weiterhin saß man auf den für den Nahverkehr dieser DB-Ära typischen roten Plastiksitzen. Die 515er wiesen allerdings mit ihren Drehgestellen eine wesentlich bessere Laufruhe als die zweiachsigen Schienenbusse oder dreiachsigen Personenwagen auf. Auf der Hauptstrecke zwischen Geist und Münster-Hauptbahnhof konnten die „Akku-Blitze“ diese Qualitäten nach langer Nebenstreckenbummelfahrt dann auch voll mit Tempo 100 ausfahren. Wenn Schienenbusse auf solchen Abschnitten ihre Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h nutzen mussten, um den Schnellverkehr nicht zu lange zu behindern, ging es im Innenraum unruhiger zu, da das Fahrzeug schaukelte und der relativ schwache Dieselmotor auf Hochtouren lief. Da Nebenstrecken abschnittsweise auch häufig in Hauptstrecken eingefädelt werden, müssen auch deren Fahrzeuge für schnelleren Verkehr tauglich sein. Mit dem neuen Farbkonzept der DB verloren die meisten Triebwagen ab 1974 leider auch den bewährten roten Anstrich und wirkten im neuen Türkis-Beige oft etwas schmuddelig. Der Einsatz der letzten 515er endete 1995 im Betriebswerk Wanne-Eickel. In Münsterland war schon 1994 die Ära dieser praktischen Fahrzeuge vorbei (Bahn Regional 48, 4-94). Die ausgemusterten Fahrzeuge standen noch etwa 10 Jahre auf einem Nebengleis, später in der alten Stückguthalle von Wanne-Eickel.

Eine Akku-Triebwagen 515 im Eisenbahnmuseum Dahlhausen.


Die Kleinlokomotiven

Am längsten auf unserer Strecke im Einsatz waren die unscheinbaren Kleinlokomotiven (Köf) der Vorkriegsbaureihe 321/322/323 (Köf II) und deren Neubaunachfolger 333 (Köf III).

Der Bahnhof Rhede verfügte Anfang der 60er Jahre noch über eine eigene Kleinlok aus der Vorkriegsreihe, die einen eigenen Kleinlokschuppen besaß und zum Verschieben von Güterwagen auf den zahlreichen Gütergleisen benutzt wurde. Die für die Zustellung der Waggons zuständige Baureihe 50 stand ja nicht den ganzen Tag zur Verfügung und die Zahl der tagsüber auf den Gleisen zu den verschiedenen Verladepunkten zu rangierenden Güterwagen war noch groß. Im Volksmund war die rote Kleinlok als „kleiner Josef“ bekannt. Sie konnte auch schon mal mit einzelnen Güterwagen auf Strecke gehen und sie nach Bocholt oder Borken befördern. Die Kleinloks der Köf II- Reihe (Baureihe 321-323) verfügten um die 120 PS. Manche ältere Ausführungen wurden noch über Ketten angetrieben. In den 60er Jahren erschienen dann die leistungsstärkeren Kleinlok Köf III, seit 1968 als Baureihe 333, auf den DB-Gleisen. Die hatten um die 240 PS, Gelenkwellen und ein hydraulisches Getriebe und konnten mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h auch schon mal einen kleineren Güterzug zum nächsten Bahnhof schleppen. Diese Baureihe kam dann seit den 70er Jahren bis zum Ende der Güterbedienung 1991 regelmäßig nach Rhede und Rhedebrügge. Sie beförderten auch die Sonderfahrten mit den Museumszügen. Waren die Maschinen ursprünglich noch rot, wurden sie auch dem neuen umstrittenen Farbkonzept der Bahn mit türkiser Grundfarbe und beiger Umrandung angepasst. Heute tragen sie ein hellrot-weißes Kleid und sind noch auf vielen Bahnhöfen im Verschiebe- und Abstelldienst tätig.

Eine Köf II im Eisenbahnmuseum Dahlhausen



Die V 200


Obwohl sie wahrscheinlich nie nach Rhede gekommen ist, sollte die im Text mehrfach erwähnte V200 nicht fehlen. Man konnte sie bis 1966 auf der Hollandstrecke bewundern. Wenn man auf der sonntäglichen Ausflugsfahrt zum Rhein bei Bislich den Bahnübergang im Diersfordter Wald passierte, konnte man das „Glück“ haben, dass die Schranke zu war und diese Maschine vor einem Schnell- und Eilzug in voller Fahrt vorbeirauschte. Die um 1960 gemachten Badefahrten zu einem toten Rheinarm bei Haldern (Rees)- einmal im Kindersattel des väterlichen Fahrrades(!), einmal im Bus mit dem jährlichen Kindergottes-dienstausflug - sind nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil damals die formschöne rote Maschine parallel zur Bundesstraße 8 vorbeibrummte.

Die V 200 beförderte bis zur Elektrifizierung der „Rollbahn“ von Münster nach Bremen im Jahr 1968 dort die Fernschnellzüge. Dann verschwand diese Maschine aus unserer Region. Ihre stärkere Variante, eine 1963 aufgelegte zweite Serie von Maschinen mit 2700 statt 220O PS, war dann unter der Baureihenbezeichnung 221 in den frühen 80er Jahren wieder im Münsterland zu sehen. Nachdem sie als Nachfolger der Dampfgüterzugloks des Betriebswerks Rheine 1977-1981 im Emsland noch schwere Erzzüge gezogen hatten, wurden sie nun noch einige Jahre im Güterzugbetrieb des Ruhrgebietes „abgefahren“. So kam öfter eine „V 200“ als Güterwagenzusteller und- sammler nach Bocholt. 1984/85 rollten sie dann mit Großraumgüterwagen nach Legden, Heek und Ahaus, um Zechenabraum für den Autobahnbau anzufahren. Einzelexemplare haben die Außerdienststellung ab 1988 als Museumsloks überlebt. Auf Umwegen kamen vor einigen Jahren gebrauchte V 200 aus dem Ausland zu einer Privatbahn nach Norddeutschland zurück.

Eine V 200 in Gescher an der Entladestelle für Waschbergzüge im Sommer 1984.


Sonderlinge: DE 2000 und Baureihe 56

Wie oben berichtet, verirrte sich im Frühjahr 1968 auch dieses Unikat im Rahmen einer Schülersonderfahrt nach Rhede. Die DE 2000 war 1962 von den Herstellern Siemens und Henschel als Versuchslok für den dieselelektrischen Betrieb gebaut worden und an die Bundesbahn zur Einsatzerprobung vermietet worden. Der dieselelektrische Antrieb, bei dem die Loks von elektrischen Fahrmotoren angetrieben werden, die ihren Strom aus einem Dieselgenerator beziehen, ist weltweit Standard. Die DB bevorzugte aber den platz- und gewichtsparenden diesel-hydraulischen Antrieb, bei dem der Dieselmotor seine Kraft über Hydraulikgetriebe direkt auf die Achsen überträgt. Die DB konnte sich mit dem dieselelektrischen Prinzip nie anfreunden, aber die Export-interessen ließen die deutschen Hersteller auch auf dem Gebiet tätig werden. Die DE 2000 kam 1970 an die Westfälische Landeseisenbahn und war dort bis zu ihrer Ausmusterung nach einem Brand 1978 im Großraum Lippstadt-Beckum im Einsatz. Auf der Fahrt nach Heimbach 1968 konnte sie mit ihrem langen Sonderzug ihre 2000 Pferdestärken auf den Hauptstrecken des Rheinlandes voll ausfahren.
In den 50 Jahren war auch noch die Dampfgüterzuglok der Baureihe 56 auf der Strecke im Dienst, die mit Ihrem Schlepptender etwas mehr Vorräte mitführen konnten als die Tenderlokomotiven, die schon mal Schwierigkeiten machten von Coesfeld bis Empel durchzufahren. Zuletzt soll 1962 noch einmal eine in Wesel beheimatete Lok dieser Baureihe einen Zirkuszug von Wesel nach Borken gefahren haben.



Impressum:

Der Artikel wurde von mir aus der Erinnerung und nach Sammlung von einzelnen Daten in Eisenbahnzeitschriften, Eisenbahnbüchern und nach Recherchen im Stadtarchiv im Juli 2006 zusammengestellt. Die Erinnerungen, vor allem die aus der Volksschulzeit, sind natürlich immer subjektiv und mit Fehlern behaftet. Vielleicht melden sich weitere Zeitzeugen oder interessierte Eisenbahnfreunde, die Zugang zu weiteren Materialien und eigene Erinnerungen haben, mit Ergänzungen und Korrekturen. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Kamps vom Stadtarchiv Rhede, der mir einige kommunale Unterlagen zugänglich gemacht hat. Der Bahnhofsplan von 1944 gehörte dabei zu den wichtigsten Dokumenten.

Jürgen Dreifke

Tiberberg 38

48249 Dülmen

xd1.30.jdreifke@spamgourmet.com



Zum Weiterlesen:

- Bahn Regional, Hg. Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland

- Wieland Proske, Clemens Schröder, Eisenbahn-Reviere: Münsterland-

Emsland, Stuttgart 1996.

- Wolfgang Klee, Eisenbahnen in Westfalen, Münster 2001

- Karlheinz Haucke, Die Westfälische Landeseisenbahn, Stuttgart 2001

- Ludwig Rotthowe, Dampflokromantik in Westfalen, o.Jg.