Sonntag, 15. Juli 2007

Letzte Züge von Gescher nach Coesfeld


In der ersten Hälfte der 80er Jahre bescherte der Bau der Autobahn A 31 vom Ruhrgebiet nach Ostfriesland einigen Stichstrecken im westlichen Münsterland noch einmal ein kurze Wiederbelebung, bevor der Betrieb dann endgültig eingestellt wurde. Über die Streckenabschnitte Coesfeld - Gescher, Haltern-Schermbeck und die WLE-Strecke Ahaus-Heek wurden Massengutzüge mit Abraum aus dem Ruhrbergbau ("Waschberge") zum Auffüllen der Dammbauten an die Baustellen herangeführt.Die Waschbergzüge fuhren mit je einer Diesellok Baureihe 221 des Betriebswerks Gelsenkirchen-Bismarck am Anfang und Ende des Zuges. Die folgenden Bilder wurden im August 1984 zwischen Coesfeld und Gescher aufgenommen. Die Bilder stellen jeweils verschiedene Züge in den aufeinanderfolgenden Betriebsabläufen bei einem Waschbergtransport auf der Strecke zwischen Coesfeld und Gescher dar.
Die Züge aus dem Ruhrgebiet erreichten Coesfeld über die alte Verbindung Oberhausen - Dorsten - Rheine. Das erste Bild zeigt 221-106
als Schublok am Ende des Zuges nach dem Passieren eines Feldwegübergangs im Letter Bruch. Der Zug wird gleich die Blockstelle Heubach durchfahren und in wenigen Minuten Coesfeld erreichen. Dort macht der Zug Kopf und 221-106 führt dann als Spitzenlok das Gespann auf der alten Strecke Coesfeld-Borken bis zur Entladestelle in Tungerloh-Kapellen südöstlich von Gescher.

Ein anderer Waschbergzug hat in Coesfeld die Fahrtrichtung gewechselt und erklimmt den Damm zur Überführung, die die Borkener Strecke über die Bahn nach Oberhausen führt. Der Bahnübergang im Vordergrund markiert den Verlauf der Oberhausener Strecke, die diese Züge als An- und Abfuhrstrecke befahren.

Der gleiche Fotostandpunkt
in der Coesfelder Bauernschaft Flamschen im Herbst 2006. Die Brücke über die Straße ist verschwunden, das Schrankenwärterhäuschen und die Telegrafenmasten sind aber noch vorhanden und werden genutzt.


Im Jahre 2001 war auch die Brücke über die Oberhausener Strecke noch vorhanden, musste bald darauf aber wegen Baufälligkeit demontiert werden.


Im Sommer 1984 trägt die Brücke noch schwerste Lasten als sich dieser schwere Waschbergzug
auf dem Scheitelpunkt der Überführung in die Kurve legt.

Der gleiche Fotostandpunkt wenige Sekunden später, als sich der Zug mit der V 200 an der Spitze mit mäßiger Geschwindigkeit nähert.

Der gleiche Bahndamm ist im Herbst 2006 von der Natur überwuchert.
Am gleichen Fotostandpunkt für die vorausgehenden Bilder vom Sommer 1984 am ehemaligen unbeschrankten Übergang erinnert 2006 noch ein Kilometerstein an die alte Trasse nach Gescher und Borken. An dem Pfosten hing bis vor ein paar Jahren auch noch ein Warnhinweis auf eine Bahnanlage, deren Schienen aber schon längst verschwunden waren. Die Gleise wurden schon bald nach dem Ende des Waschbergverkehrs abgebaut.


Gehen wir zurück in das Jahr 1984 und blicken mit dem Beobachter am gleichen Standort jetzt in die andere Richtung an das Ende des nach Gescher weiterrollenden Zuges. Begleitet von zahlreichen Signaltönen vor den ungesicherten Bahnübergängen windet sich die Wagenschlange durch die Bauernschaft Flamschen; ein ungwohnter Anblick für diese Nebenstrecke, die in den zehn Jahren seit der Einstellung des Personenverkehrs 1974 nur gelegentliche Übergaben mit Kleinlok zu den Verladestellen in Gescher und Velen erlebt hat.

Der Zug passiert in Flamschen einen der zahlreichen Feldwegübergänge, die den Verkehr auf der Heidebahn von Coesfeld nach Bocholt beeinträchtigten.


Die Streckenverbindung war 1903 durchgängig von Münster über Coesfeld, Borken und Bocholt nach Empel-Rees eröffnet worden. In den Nachkriegsjahren verkehrten hier noch zahlreiche Schienebusse, Vorkriegstriebwagen und 078er-Tenderloks mit dreiachsigen Umbauwagen.
Allerdings betrieb die DB schon früh einen Omnibusverkehr parallel zur Schienenstrecke und dünnte ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre das Zugangebot immer mehr aus. Die zahlreichen ungesicherten Übergänge reduzierten die Geschwindigkeit auf 60 km/h. Möglicherweise hätte diese Verbindung zwischen den für Eigenheimbauer beliebten Wohngemeinden des Westmünsterlandes an das Oberzentrum Münster im Zuge der Wiederbelebung des Schienennahverkehrs mit moderner personalsparender Betriebstechnik und neuen Rollmaterial wieder eine Chance gehabt, wenn die Trasse erhalten geblieben wäre.

Nach dem Passieren des Überwegs läßt die Abgasfahne der Schlusslok ahnen, dass die Maschinen trotz der geringen Geschwindigkeit noch ein gutes Stück Arbeit zu leisten haben. Die Spitzenlok hat gleich den mit Lichtzeichen und Halbschranken gesicherten Übergang an der Verbindungsstraße Coesfeld-Hochmoor-Velen erreicht und nähert sich der Heidelandschaft von Goxel.

Der Waschbergzug rattert durch ein Waldstück bei der Wohnsiedlung Goxel Richtung Klye, einem längst aufgegebenen Halte- und Verladepunkt an der Kreuzung der Strecke mit der Bundesstraße 67. Auf der Trasse befindet sich heute zum Teil ein Radweg. Andere Abschnitte sind überpflügt worden.

Heute sieht es dort so aus:

Langsam schiebt die "V 200" den Wagenzug an der Entladestelle bei Tungerloh-Kapellen vorbei. Von dort wird das Erdreich zu den einzelnen Dammaufschüttungen per LKW weiterbefördert. Der an dieser Stelle bereits aufgetürmte Autobahndamm bietet einen idealen Fotosstandpunkt. Später wird der Damm auch die Bahntrasse an dieser Stelle abschneiden. Die fehlende Unterführung schließt eine künftige Wiederaufnahme des Schienenverkehrs endgültig aus.
Hier befindet sich heute die Autobahnauffahrt Coesfeld-Gescher.

Zügig macht sich der Leerzug auf den Rückweg nach Coesfeld und von dort weiter nach Dorsten . Heute erinnern allenfalls noch Baumreihen, Dammaufschüttungen und einige Schneisen den kundigen Beobachter an den Schienenverlauf zwischen Coesfeld und Borken. In Borken existiert nur noch ein kurzes Anschlußgleis zur Verladerampe der Bundeswehrkaserne.

Der aufgeschüttete Autobahndamm bietet einen guten Blick auf die "V 200", die um 1960 als Paradelok vor den Schnellzügen der DB galt und in den 80er Jahren schließlich als Güterzuglok im Ruhrgebiet abgefahren wurde. Die stärkere Version, die Baureihe 221, war Ende der 80er für diese Rolle noch modifiziert wurden, um nach dem Ende des Dampfbetriebs bei der DB 1977 auf der Emslandstrecke für eine Übergangszeit die Schwergüterzüge zu fahren, weil der elektrische Betrieb erst 1981 aufgenommen werden konnte. 1988 kam das Aus für die "V 200" im Betriebswerk Gelsenkirchen-Bismarck.


Der Fotograf vom Sommer 1984 ist zum Schrankenübergang an der Oberhausener Strecke zurückgekehrt, die wir im zweiten Bild bereits kennengelernt haben. Der Leerzug hat in Coesfeld die Fahrtrichtung geändert und kehrt in zügiger Fahrt nach Dorsten zurück. Im Hintergrund erkennt man an den Telegrafenmasten den parallel verlaufenden Bahndamm, der die Züge Richtung Borken zur Brücke über die Oberhausener Strecke führte.

Auf der anderen Seite des immer noch mit einem Schrankenwärter besetzten Übergangs sieht man 2006 immer noch den alten Bahndamm Richtung Gescher, von den Telegrafenmasten und der Überführungsbrücke ist aber keine Spur mehr zu sehen.
Die weiterhin befahrene Strecke von Coesfeld nach Oberhausen war in den 90er Jahren wegen ihres schlechten Zustandes gefährdet, wurde dann aber noch einmal instandgesetzt. Dies Foto zeigt den Bauzustand bei dem Block Heubach im Oktober 2006 . Von dem hier hinter der Kaserne in Flamschen einst vorhandenen Überholungs- und Begegnungsbahnhof ist nichts mehr übriggeblieben.

Die Strecke nach Gescher wurde Mitte der 80er Jahre aufgenommen und der Natur überlassen wie hier beim ehemaligen Bahnübergang an der Straße von Coesfeld nach Hochmoor.

... oder zum Radweg umgewidmet wie hier von Goxel Richtung Klye.

Der ehemalige Bahnübergang über die alte B 67 in Klye. Der dortige Bahnhof mit Verladestelle war bereits 1962/63 aufgelassen worden. Er war ursprünglich als Begegnungsbahnhof ausgelegt, wurde wegen des rückläufigen Verkehrs aber überflüssig.
Zum Abschluss noch ein heutiger Blick auf den Bauzustand der aus Richtung Süden in den Bahnhof Coesfeld eingefädelten Streckenverläufe. Links die Verbindung aus Richtung Dortmund-Dülmen, rechts die Linie aus Richtung Oberhausen-Dorsten-Maria Venn. In der Mitte der noch vorhandene Damm der ehemaligen Strecke nach Gescher-Borken-Bocholt-Empel. Der mehrfach beschriebene Schrankenübergang an der Oberhausener Strecke in Flamschen mit der alten Überführung der Borkener Linie liegt ca. 1 km weiter in Blickrichtung rechts.




2 Kommentare:

  1. Danke für diesen sehr wertvollen Bericht über diese Strecke...Gibt es eigentlich auch Video-Material darüber?

    MFG

    Andreas

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  2. Danke für den umfangreichen Bericht.
    Ich habe 1960 längere Zeit im Haus Hall in Gescher gearbeitet (Fernmeldeanlagenbau) und bin jeden Morgen von Münster dorthin gefahren.
    War immer eine beschauliche Reise mit dem roten Schienenbus .
    Fast 60 Jahre ist's her .
    MfG Hermann

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